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[thing-group] Received 22. 01. 2008 -- 17:09 from from

n0name newsletter #123

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n0name newsletter #123 Di., 22.01.2008 16:26 CET

*Inhalt/Contents*

1. kleiner Fehler in der Tabelle
Erinnerung des Zuges?
2. Nick. _Roman_ (Fortsetzungsroman) Teil 83
3. Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot_ 27

24 KB, ca. 8 DIN A4-Seiten

ACHTUNG! Umlaute/Tippfehler

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1.

kleiner Fehler in der Tabelle


Beim umstaendlichen Bau der Tabelle des Zugplans der Deportationen
ins KL Auschwitz 1943 (die Lufthansa und die Nachfolge-Organisation
der Reichsbahn, die DB waeren in diesem Zusammenhang zu nennen) in
den ASCII-Stil, unterlief hier im n0name ein kleiner Fehler in der
Zeile Frankfurt/Main/Sue (siehe unten). Die straffe Ordnung der Linie
der Spalte war verrueckt.
Der Wiederholung oder Nutzung von Namenslisten und Tabellen des
Verbrechens kann man vorwerfen, sie wiederhole dabei auch die Methode
und die Form der rein organisationstechnischen Abfolge von Daten mit
keinerlei kritischem Bezug mehr zum damaligen Geschehen -- der
Bezug wuerde sogar ausgetrieben durch die Ueberdeckung des Damaligen
durch ein unzulaessiges Zitat. Die Liste als historisches Artefakt
in der medialen Reproduktion steht unter dem Verdacht, die Verbindung
von industriellem Plan, dem Mord und der Nachfolge mit seinen
Konsequenzen ein weiteres Mal aufzuloesen. Der kleine Fehler im
nachgemachten Schriftbild unterlaeuft das ungewollt.

Dabei symbolisiert die Liste anbetrachts der Beinahe-Leugnung,
zumindest Verdraengung ihrer historischen Verantwortung durch die
Deutsche Bahn (frueher "Deutsche Bundesbahn"), scheinbar ein
Erinnerungsstueck, ein Stueck Erinnerung.


Gibt es eine Erinnerung des Zuges?

Der Trailer[1] vom "Zug der Erinnerung" hortet aber mehr als mahnende
Symbolisierung der Erinnerung an ermordete Kinder durch
Nazideutschland, er arbeitet mit Dramakamera, Thrill und
nachgestellten, nachvertonten Bildern. Damit will man geschichtliche
Naehe herstellen, "aufruetteln". Die Mittel sind jedoch von denen
geschichtsbilderverdrehender Spielfilme nur zu unterscheiden, weil sie
im Kontext stehen eines Darstellungsversuchs der Entinnerung seitens
des moralisch angegriffenen Unternehmens auf der ueberlieferten Seite
der Taeter und der Erinnerung an die Opfer, "um [ihnen] ihre
Gesichter wiederzugeben, ihre Wuerde." Das Pathos dieser Woerter deckt
sich mit dem Pathos des Werbeclips. Wenn der Zug auch in den Bahnhof
meiner Stadt kommt. Die Kette Erinnerung, Gedenken, Historie wird so
eine zu befragende, relative, wenn das Gedenken die Historie zu
ueberdecken droht (vgl. Enzo Traverso's "Gebrauchsanweisung fuer die
Vergangenheit"). Wenn beim Auschwitzgedenktag die Schienen brennen
und die Geraeusche einer einfahrenden Dampflok eingespielt werden.

Die Tabelle kann als fast-getarnte DB-Reisebroschuere auch im
Grossraumwagon Der Bahn verteilt werden, in die Identitaet des
Unternehmens einsickern und so an die Tatsachen erinnern helfen.
Erinnerung selber kann aber nur von den Besuchern des Zuges kommen,
weil es diese nicht gespeichert gibt, sie nur als Vorgang (aktiv wie
passiv) herstellbar und konsumierbar ist. Es gibt also eine Erinnerung
im Zug. Und die koennte sich auch daran erinnern, dass es 2008 um
"Arbeitsplaetze abbauen und die Fahrpreise erhoehen" ging.


"Saarbruecken-Mannheim-Frankfurt
Leipzig-Dresden ---> Auschwitz

Zuglaufplan der Deportationen ab 1. November 1943
Deutsche Reichsbahn

------------------------------------------------------------------------
| Ab|Zug |Ueber An Ab Zug | An |Verkehrstage|
|----------------+----------------------------------+-----+------------|
|11.45|Viehwaggon|Saarbruecken 1.18 1.30 DA-901| |ab 1.11.1943|
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Homburg 2.15 2.17 | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Kaiserslautern 3.02 3.15 | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Mannheim Hbf 5.05 5.35 | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Darmstadt | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Frankfurt/Main/Sue 7.24 7.46 | | |
|-----+-------- -+----------------------------------+-----+------------|
| | |Hanau | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Fulda 9.53 10.00 | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Burghaun 10.26 11.20 | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Fassdorf 12.00 | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Eisenach | | |
|-----+----------+----------------------------------+-----+------------|
| | |Gotha | | |
usw."

_____
[1] http://www.zug-der-erinnerung.de/trailer.html

Xaver Schulz

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2.

Nick. _Roman_ (Fortsetzungsroman) Teil 83

Nach weiteren mehreren kleinen Katastrophen zogen Wolken auf.
"Na und? NA UND?", dachte sich Roman, und zog sein neues, gruenes,
schoenes neues, noch nach dem Parfuem des Verkauefers riechendes
Romanzo 2008-Trikot an.

Teil 84 im n0name newsletter #124

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3.

Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot_ 27


Dass mit der neuen Copyright/Urheberechtsregelung[1] der
"Informationsgesellschaft" i.d. BRD, die [Adornostyle!] eine einzige
Verwertungsgesellschaft ist, nun Bibliotheken klagen, sie koennten
nichts mehr einfach unbefragt elektronisch per Fernleihe unter sich
verschicken und die Kopienbelieferung wuerde kostenpflichtig, und
diese Bibliotheken nun ihre alte Zeitersparnis, die nichts anderes als
geldwerte Zeit war, nun zurueckhaben wollen, ist ein Wust von
Regressschritten in der Produktivkraft und Branchenkraemerei (die
Branche heiszt hier Forschung und Lehre). Es geht eben nicht um
Access, wie das www.urheberrechtsbuendnis.de aus Akademikern mit dem
schwach leuchtenden "UrhG" im Logo sagt, d.h. Zugang zum globalen
Wissen, sondern um den Punkt ...

"3.4 Jenseits des Privateigentums oder:
Die Suche nach dem revolutionären Subjekt"

, die sich als nicht so einfach erweist:

Das Phänomen der Freien Software in Abgrenzung zur Open Source wird
wie erwähnt gerne und häufig als Beleg und Ausgangspunkt dafür
genommen, dass offene und kooperative Wissensproduktion effizient sei
und daher eine der mo-dernen Wissens- oder Informationsgesellschaft
angemessene Produktionsweise darstelle. Diese Haltung wendet sich zwar
gegen eine restriktive Eigentumssicherung in der Welt nicht-stofflicher
Güter und argumentiert im Fall Freier Software sogar für den Verzicht
auf eine ausschließende Aneignung. Allerdings macht sich dieses
Argument damit in keiner Weise einer anti-kapitalistischen, gar
kommunistischen Haltung verdächtig32, auch wenn dies von konservativer
Seite immer mal wieder befürchtet wird.33 Davon abzugrenzen sind die
mal mehr mal weniger explizit marxistisch verorteten Debatten, welche
sich von Freier Software mehr erwarten. Darin fügen sich unter anderen
die Postoperaisten ein. Sie verweisen im Kontext ihrer Thesen zur
Dominanz immaterieller Arbeit auf Freie Software als Beispiel für neue,
kooperative und selbstbestimmte Arbeitsformen (Atzert/Binger 2003)
und messen ihnen damit einen emanzipatorischen Gehalt zu. Der
Programmierer von Freier Software sei der klassische Vertreter des
immateriellen Arbeiters, der zumindest potentiell das revolutionäre
Subjekt verkörpert:

„Die Qualifikationen der abhängig Arbeitenden, aus denen der
Kapitalismus Wert schöpft, sollen ihnen gleichzeitig die Fähigkeit
zur unabhängigen Kooperation außerhalb des Kommandos von Staat und
Kapital ermöglichen" (Nowak 2000: 235).

Negri/Hardt haben in ihrem Buch „Empire" das Konzept der Multitude
entwi-ckelt, als ein Bassin oder Netz aller Subjekte (Vielheit,
Menge), die durch ver-schiedenste Praxen dahin drängen, sich aus der
kapitalistischen Welt-Vergesell-schaftung zu befreien (vgl. Negri/Hardt
2002). In ihrem folgenden Buch, welches den Begriff Multitude selbst
zum Titel hat, haben sie die Freie Software Bewe-gung als eine der
radikaleren Formen globaler Reformexperimente skizziert. Die Aktivisten
der Freien Software, so lässt sich aus diesem Kontext schließen, versu-
chen nach Negri/Hardt die destruktiven Formen politischer und
ökonomischer
_______________
32 Dies gilt im übrigen auch für den Schöpfer der Creative Common
License: „Lawrence Lessig is always very keen to disassociate
himself and the Creative Commons from the (diabolical) insinuation
that he is (God forbid!) anti-market, anti-capitalist, or com-
munist" (Berry/Moss 2004: o. S.).
33 So verbindet eine FAZ-Autorin mit dem „Mißtrauen gegenüber
Privateigentum" eine Bereitschaft zu „Enteignung und
Sozialisierung" (Horn 2000: 13).
34 Auch das oben erwähnte Lizenzierungsprojekt „Creative Commons"
wird von Negri/ Hardt als eines der innovativsten Projekte
bezeichnet (Negri/Hardt 2004: 334).

107

Kontrolle abzuschaffen (Negri/Hardt 2004: 333 f.),34 durch die neuen
Formen „immateriellen Eigentums" würde die Legitimität des
Privateigentums, die auf Arbeit beruhe, herausgefordert. Es gelte nun
innerhalb des Empires diese Tendenzen zu verstärken, um in der Hülle
der alten Gesellschaft die neue zu bauen (Hardt 2003).
Ausführlicher diskutiert die Gruppe Oekonux das
nicht-kapitalistische Poten-tial Freier Software. „Oekonux" - eine
Wortschöpfung kombiniert aus „Oekono-mie" und „GNU/Linux" - bezeichnet
einen Diskussionszusammenhang, der im Juli 1999 auf der ersten
„Wizards of OS-Konferenz"35 aus einem spontanen Tref-fen hervorgegangen
ist. Bei den Oekonux-Aktivitäten steht die Leitfrage im Mit-telpunkt,
„ob die Prinzipien der Entwicklung Freier Software eine neue Ökono-
mie begründen können, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft
dienen,"36 kurz, ob die Prinzipien der Freien Software auf eine
Gesellschaft jenseits von Kapitalismus verweisen. Im Prinzip ist
Oekonux eine rein virtuelle Angelegen-heit, es wird zuvorderst in
einer Mailingliste über das Internet diskutiert. Der Aktionsradius der
Gruppe weitet sich aber darüber hinaus aus, so werden jährlich
Konferenzen veranstaltet und regelmäßig Texte publiziert, von
einzelnen Mitglie-dern der Mailingliste oder gemeinsam in einer
kooperativen Textproduktion ganz im Sinne der Freien
Software-Produktionsweise. Das Projekt Oekonux ist durchaus nicht
homogen, und die Mitglieder kommen aus allen erdenklichen Betätigungs-

feldern. Alle aber eint das Interesse an Freier Software und damit in
Verbindung stehende oder davon abzuleitende gesellschaftspolitische
Fragen. Oekonux lässt sich schematisch von der Freien Software Bewegung
und von Open Source inso-fern abgrenzen, als die Diskussionen weit über
Software hinausgehen und weitrei-chende soziale, politische und
ökonomische Fragen - allerdings immer mit Be-zug zur Freien Software -
stellen. Auch wenn die Heterogenität der Gruppe immer wieder betont
wird, so gibt es doch einige prominente Thesen, die mit Oekonux in
Verbindung gebracht werden, ohne dass damit gesagt wäre, dass alle in
der Mailingliste eingeschriebenen Mitglieder diese Thesen teilen
würden. Unter die-ser Maßgabe sollen im Folgenden einige für
vorliegende Arbeit relevanten Grund-thesen von Oekonux skizziert werden.
Auch bei Oekonux beziehen sich viele Teilnehmer auf die
historische kapita-listische Entwicklungsstufe der Gegenwart als eine
Informationsgesellschaft, in der das geistige Eigentum gegenüber dem
materiellen Eigentum"

Eine merkwuerdige material-materialistische Trennung.

"an Wichtigkeit
_______________
35 Wizards of OS ist eine in Berlin regelmäßig stattfindende
Konferenz, die sich „mit der entstehenden Wissensordnung digitaler
Medien" beschäftigt. Der Fokus liegt dabei „auf dem Potential von
PC und Internet, freie Kommunikation und offene Kooperation bei
der Schaffung von Wissen zu ermöglichen", entnommen von:
http://www.wizards-of-os.org
36 Siehe http://www.oekonux.de

108

gewonnen habe.37 Ganz allgemein habe demzufolge Eigentum im
Kapitalismus die Funktion, Güter zu verknappen (Meretz 2000: 28).
Eigentum habe zwar durchaus emanzipative Aspekte, so zum Beispiel die
Freiheit, damit tun zu kön-nen, was man möchte (Merten 2002a: o. S.).
In der bürgerlichen Gesellschaft aber werde es dazu eingesetzt,
Knappheit zu erzeugen, was heutzutage besonders au-genfällig bei
geistigem Eigentum würde. Eine emanzipatorische Vision nun müs-se
dieses „Entfremdungspotential" von Eigentum überwinden (Merten 2002a:
o. S.). Im Zentrum dieser Ãœberwindung stehe daher Freie Software mit
ihrem Ver-zicht auf private, ausschließende Aneignung, die ein
Beispiel darstelle für ein „qualitativ neues Modell von
Produktivkraftentwicklung" (Oekonux 2004: o. S.). Als solches sei
Freie Software eine Form produktiven Handelns, die im Kern „nicht nur
jenseits des Geldes und der Wertform, sondern auch jenseits des
Tausches schlechthin gedeiht" (Oekonux 2003b: o. S.). Dass trotz
aller Offenheit des Co-des bei Freier Software, das heißt, trotz
Verzichts auf exkludierende Aneignung, dennoch ein sogar hoher
Arbeitsanreiz bei den Produzenten besteht, wird in die-ser Lesart
gerade auf die spezifischen Produktionsbedingungen zurückgeführt: Die
Art und Weise, wie Freie Software entwickelt wird, sei eine im
Gegensatz zur ka-pitalistisch organisierten Lohnarbeit nicht
entfremdete Arbeit. Die Abwesenheit von Zwang (frei von
Verwertungszwang, von Konkurrenzdruck, von Leistungs- und Termindruck
usw.) führe zu individueller Selbstentfaltung: Spaß und Lust an der
Tätigkeit und das Interesse an der Nützlichkeit des Produkts (nicht
am Tausch-wert) seien der treibende Motor der (häufig unbezahlten)
Programmierer von Freier Software (Meretz 2000: 9).
Zu einer der umstrittenen Thesen in der Oekonuxliste gehört die
Frage, ob Freie Software bereits die Keim-Form einer künftigen, nicht
kapitalistischen Ge-sellschaft sei. Dem liegt zum einen das
emanzipatorische Potential zugrunde (Selbst-entfaltung), zum anderen
aber auch das systemsprengende Potential: „Indem Freie Software
künstliche Knappheit beseitigt, unterläuft sie das System der Wert-
schöpfung, ohne die der Kapitalismus nicht funktionieren kann"
(Oekonux 2003a:"

Verschenkt der Baecker die Broetchen -- und dieses emanzipatorische
Potential muesste gesamtgesellschaftlich auch gegenueber 'materiellem
Eigentum' gelten -- ist die Wertschoepfung aufgehoben; etwa weil alle
anderen Baecker ebenfalls ihre Broetchen verschenken, und der
Mueller (die Mehlfarbik) sein Mehl, so wie der Bauer sein Getreide und
die Traktorfabrik die Traktoren und der Oelkonzern den Diesel und der
Arbeiter auf der Oelplattform seine Arbeit, weil er die Broetchen ja
geschenkt bekommt.
_______________
"37 So zumindest Stefan Merten, einer der Protagonisten des
Oekonux-Projekts. Er schreibt ganz ähnlich wie Rifkin: „Betrachten
wir die technische Seite der Entwicklung der Produktivkräfte, so
lässt sich feststellen, dass die Bedeutung von Information immer
stärker steigt. (..) Konsequenterweise verschiebt sich auch der
Fokus bei den Eigentums-verhältnissen. Dabei verliert das Eigentum
an materiellen Produktionsmitteln zuneh-mend an Bedeutung. Dies
wird zum Beispiel im Franchising sichtbar, bei dem nicht mehr
konkrete Produktionsmittel im Vordergrund stehen, sondern nur
noch Marken verkauft werden. Das Eigentum an Informationsgütern -
und dies bedeutet hier nur noch die Möglichkeit der Verknappung -
bzw. Informationswaren wird dagegen immer wichtiger" (Merten
2002a: o. S.).

109

o. S.), und: „Ist diese Technik an sich schon revolutionär genug,
(...) so hat die digitale Kopie in Verbindung mit Freier Software und
deren Selbstentfaltung erst wirklich systemsprengendes Potential"
(Merten 2002b: o. S.). Konkret wird schließ-lich mit der These von
Freier Software als „Keim-Form" gesagt, dass sich diese
Produktionsweise weiter ausbreiten würde und langfristig die
kapitalistische Ge-sellschaftsform verdrängen könne. Wie genau diese
Überführung aussehen könn-te, ist nach Ansicht von Oekonux „im Detail
nicht seriös zu beantworten" (Oekonux 2003a: o. S.). Angestrebt ist
eine sogenannte GPL-Gesellschaft38 (Oekonux 2003b: o. S.), welche
sich auszeichnet durch „Wertfreiheit, Selbst-entfaltung,
Selbstorganisation und Globalität" (Oekonux 2002: o. S.).
In einer GPL-Gesellschaft würde genommen was gebraucht wird und
nicht gegen Geld getauscht. Die Produktionsmittel müssten
„Selbstentfaltung auf breiter Basis" ermöglichen, es müsse Spaß
machen, an diesen Produktionsmitteln tätig zu sein. Es gäbe keine
Arbeit mehr im herkömmlichen Sinne, es würde nicht mehr für einen
Markt produziert werden, sondern aus „konkreten, menschenbezogenen
Gründen" (Merten 2002b: o. S.). Die Hoffnung, die mit der Freien
Software als mögliches Fenster raus aus der kapitalistischen
Gesellschaft verknüpft wird, fin-det auch darin ihren Ausdruck, dass
andere „freie" Projekte aufgezählt werden. Es wird verwiesen auf im
Internet existierende Projekte wie „Freie Kochrezepte, Freie Literatur,
Freie Enzyklopädien, Freie Musik" (Merten 2002b), aber auch auf „freie
materielle Güter" wie die Planung eines Autos über das Internet oder
die Ent-wicklung elektronischer Schaltungen - hier wird noch angemerkt,
dass die Reali-sierung dieser Pläne eine kommerzielle Firma übernehmen
könne, wobei ihr Vorteil darin liege, dass sie die Kosten für

Entwicklung nicht selbst tragen müsse (sic!). Außerdem seien
Entwicklungen zu beobachten, in denen Firmen ihre normalerweise streng
gehüteten Designs „beFreien", um von den Vorteilen „Freier
Entwicklungs-prozesse" zu profitieren. Faszinierend an der
„Keimform-These" scheint der Ge-danke zu sein, dass man eine
grundlegende gesellschaftliche Veränderung errei-chen kann, indem man
das Neue bereits praktiziert. Dabei hat man dann vielleicht mit
einigen Widerständen zu tun, das Terrain des Neuen, so die Überzeugung,
wird sich aber allein schon deshalb ausdehnen, weil es „effektiv
besser" als das Alte ist.39
_______________
38 In Anlehnung an die General Public License für Freie Software (siehe
Kapitel 2).
39 „Keine neue Gesellschaft taucht aus dem Nichts auf und steht am
nächsten Morgen vor der Tür. Keine neue Gesellschaft löst die alte
ohne Widerstand ab. Zunächst ent-wickeln sich Keime des Neuen in
den Nischen des Alten. Schließlich wird das Neue so mächtig, dass
die Verwalter des Alten Konzessionen machen müssen und das Neue
gleichzeitig bekämpfen und verhindern wollen. Das Neue wird sich
dann durchsetzen, wenn es effektiv besser ist als das Alte. Dabei
ist es klüger, nicht auf dem ureigenen

110

Das Projekt Oekonux steht zwar außerhalb des Mainstreams, dennoch
strah-len einige Thesen durchaus aus. So schreibt ein Autor in der
Wochenzeitschrift „Freitag", dass es Zeit sei, eine Debatte über
konkrete Utopien zu führen und greift im gleichen Atemzug den Begriff
der Keimform auf:

„Nicht nur gedankliche Konstruktionen sind willkommen, sondern auch
Beiträge über beispielhafte Projekte und Unternehmen. Wo sind die
Keime und auf welchem Boden könnten sie wachsen? Schon Hegel hatte die
Aufgabe formuliert: Das Herzeigen einer Eichel und das Aufsagen des
Wortes Baum reicht nicht. Wir wollen auch wissen, wie die-ser aus
jener wird" (Thie 2004: 5).

Auch Andre Gorz schickte zur letzten Oekonux-Konferenz ein
entsprechendes Geleitwort:

„Die Frage stellt sich hier ganz konkret: Wie lassen sich die
Prinzipien einer freien Pro-duktionsweise praktisch auf andere oder
gar sämtliche gesellschaftlichen Tätigkeitsberei-che ausdehnen? In
einer Zeit größter Krisenanfälligkeit ist die Frage von besonderer Be-
deutung. Die Keime einer Antwort könnten in „argentinischen" Umständen
in relativ kurzer Zeit Wurzeln schlagen" (Gorz 2004a: o. S.; vgl.
vor allem Gorz 2004b)."

Warum Taetigkeits_bereiche_ und wieso "ausdehnen"? Gibt es denn
Bereiche gesellschaftlicher Taetigkeiten, auf die sich wie eine sich
entwickelnde (!) Pflanze ein Prinzip ausweitet?

"Abgesehen von der hier zuletzt geschilderten Minderheitenposition,
die in Freier Software eine systemsprengende, subversive Praxis sieht
bzw. eine Keimform, die das Potential hat, den Kapitalismus zu
überwinden, werden in sonst allen Positi-onen bzw.
Argumentationsfiguren in der Debatte um digitales Eigentum einzelne
Annahmen zur Funktion, zum Nutzen und zum Sinn von Eigentum formuliert,
in der Regel jedoch ohne explizit eine Analyse von Eigentum als
solchem zugrunde zu legen, bzw. zu diskutieren. Das heißt jedoch
nicht, dass nicht implizit eigentums-theoretische Paradigmen die

Grundlage dieser verschiedenen Argumentations-figuren bilden würden.
Besonders in der Position für eine restriktive Sicherung der
Eigentumsrechte im Internet zeigt sich der zugrunde liegende
theoretische Ansatz, das heißt Annahmen über den Zusammenhang von
Arbeit, Eigentum und Produktivität, recht deutlich. Hier wird davon
ausgegangen, dass die Siche-rung der Eigentumsrechte Anreize für
Produktivität schafft und damit Wirtschafts-wachstum erzeugt. Die dem
entgegengesetzte Position vertritt nun zwar die An-sicht, dass auch
ohne private Eigentumssicherung Arbeitsanreize geschaffen wer-den
können. Hier werden dann allerdings entweder alternative
Verwertungsmodelle vorgeschlagen, in welchen die digitalen Güter
selbst zwar „frei" sein können, die Kreativen aber über andere
Dienstleistungen kompensiert werden müssen oder aber es wird
beispielsweise mit dem Instrument der digitalen Privatkopie eine
niedrigschwellige Zugangsschranke präferiert. Mitunter formulieren
auch die Ver-
_______________________________________________________________________
Terrain des Alten zu kämpfen, sondern die Spielregeln zu ändern und
sich auf neuem Terrain zu behaupten. Für solch ein Modell steht Linux
und die Freie Software" (Meretz 2000: 27, Herv. d. Verf.).

111"
_____
[1] http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl107s2513.pdf , Dank an
die bkademie fuer den Hinweis.

Ali Emas/Matze Schmidt

Auf dieses OCR wie immer keine Gewaehr.

Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot: Aneignungskonflikte um geistiges
Eigentum im informationellen Kapitalismus_. Muenster: Westfaelisches
Dampfboot, 2006. 269 S. - EURO 19,90. Erschienen: Oktober 2006

Volltext-Archiv aller im Buch verwendeten elektronischen Quellen (ca.
20 MB):
http://wbk.in-berlin.de/wp_nuss/wp-content/uploads/2007/01/
lit_linksklein.pdf

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Im n0name newsletter #124 "Die rote Rote Zora", "Directory's" und
"Nick. _Roman_ Teil 84" !

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