Received 26. 04. 2012 -- 17:47 from
fromKünstlerkritik in Hamburg
Ich möchte hier kurz einige Punkte zum gestrigen Vortrag von Prof. Dr.
Jürgen Oßenbrügge (Uni Hamburg) notieren, da sie sich gut an die Thesen
von Klaus Ronneberger zur Hegemonie des Kulturellen anschliessen.
Der Titel des Vortrags lautete: "Kampf in den Städten? Aktuelle
Erscheinungsformen und Erklärungen für die (Re-)Urbanisierung der
Künstler- und Sozialkritik am Beispiel Hamburgs"
Der Begriff "Künstlerkritik" geht auf Luc Boltanski und Eve Chiapello
zurück und fasst 2 von 4 Formen der Kapitalismuskritik auf:
1) Entzauberung der Welt, Verlust von Authentizität
2) Unterdrückung von Freiheit, Autonomie und Kreativität
Die anderen beiden Kritiken adressieren als "Sozialkritik":
3) Armut und Ungleichheit
4) Opportunismus, Egoismus
--> http://www.grundrisse.net/grundrisse31/der_geist_des_kapitalismus.htm
Prof. Oßenbrügge zeigte im ersten Teil seines Vortrags Herkunft und
Entwicklung des Begriffs der "Künstlerkritik" auf, wie sie ausgehend von
Arbeiten des Soziologen Henri Lefebvre den Boden für einen Diskurs der
"Kreativität" und "kreativen Stadt" bereiteten.
Stichworthaft: Abkehr von der fordistischen Stadt. Betonung von
Globalität versus Lokalität, Zentralität, Differenzen. Schaffung von
Begegnungs- und Interaktionsräumen. "Econonmy of varieties". Entwicklung
der "kreativen Stadt" als kapitalistische Reaktion auf "Künstlerkritik".
Im zweiten Teil ging Prof. Oßenbrügge auf die spezielle Situation in
Hamburg ein, die im Begriff "Marke Hamburg" fassbar wird.
Ausgehend von Anfängen in den 1980er Jahren (Privatisierungen, Stadt als
Unternehmen) kam es in den Jahren 2003 - 2008 zu einem breiten
gesellschaftlichen Konsens (Koalition CDU und Grüne) Hamburg als
"creative city" zu verstehen und zu vermarkten.
Dem trat 2009 die Bewegung "Recht auf Stadt" mit ihrem Manifest "Not in
our Name, Marke Hamburg" entgegen.
--> http://www.buback.de/nion/
Die große Wirkung des Manifests führte Prof. Oßenbrügge auf ein
Zusammentreffen von ursprünglicher Künstlerkritik mit dem Anliegen der
Stadtregierung Kreativität, Vielfalt, Toleranz zu fördern zurück. Gemäß
ihren eigenen Ansprüchen war es der Stadt nicht mehr möglich, das
Gängeviertel zu räumen.
Aus der abschliessenden Sicht von Prof. Oßenbrügge kann die "Recht auf
Stadt" Bewegung allerdings nur einen Teilerfolg beanspruchen.
Zum einen geht der Erfolg ihrer "Künstlerkritik" mit einer Abwertung von
Sozialkritik einher, der es nicht gelungen ist soziale Gruppen außerhalb
des kreativen Milieus anzusprechen und zu mobilisieren.
Zum anderen fand "Recht auf Stadt" nur dort Anerkennung, wo innerhalb
der Auseinandersetzung die Geltung des kreativen Diskurses (Richard
Florida et. al.) Zustimmung erlangte.
Wenngleich Künstlerkritik sich als schlagkräftiges Instrument erwies,
Anliegen eines bestimmten Milieus zu artikulieren, blieb ihre Wirkung zu
Teilen auf den Rahmen beschränkt, der durch neoliberale Stadtentwicklung
schon vorgegeben war.
Handelt es sich daher bloß um eine Auseinandersetzung zwischen
"Kreativen" mit unterschiedlicher finanzieller Ausstattung, - solchen,
die sich eine Eigentumswohnung leisten können, und solchen, die sich
eine Eigentumswohnung leisten können wollten?
In der abschliessenden Diskussion wurde zudem die Frage aufgeworfen,
inwieweit sich mit "Not in our Name" überhaupt genuine Künstlerkritik
äußerte, oder ob nicht die Urheber eher Kritik an der Inkorporierung von
Künstlerkritik im Namen des Städtemarketings vorbrachten. Ein nicht
unerheblicher Unterschied.
Jedenfalls machte der Vortrag Prof. Oßenbrügge deutlich, inwieweit
scheinbar kritische Ansprüche und Haltungen keineswegs ein leicht
einzunehmendes Außerhalb markieren, sondern in einer Dialektik der
Differenzen mit dem Gegenstand der Kritik verwoben sein können. Also,
Differenz der Differenz?
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