Einträge vom Sonntag, 12. Juni 2011
Received 12. 06. 2011 13:42 from
Schwerhoeren
Schwerhoeren
So wie Herbie Flowers Basslauf Lou Reed gehoert
[Vorabversion, Richtigversion im n0name newsletter #152 (glaube ich)]
"Das Problem, das ich" mit Heavy Listening und Drone "habe ist",
dass es so Mark Rothko ist. Bist Du Tuerkei oder wenigstens schwul?,
kann man hier oder anderswo lesen. Aber Gendertheorien und
Migrationsdiskurse (mit Betonung auf Kurse) greifen da nicht. Der
globale Sound einer Global City, die eine neu(kultur)reiche, das
bedeutet neuglobale City ist, weht her von der neu aufgemachten,
nach der Eroeffnung sofort brummenden Kneipe mit DJ, direkt an
Deiner Strassenecke, wo sich die Natives aus den Billigfliegern
treffen, oder vom Flohmarkt mit integriertem Livemusikprogramm.
Gemasht selbstverstaendlich mit dem Droenen dieser zahlenden
Gaeste, die auf gebrochenen perfektem English ein Bier nach
dem anderen bestellen muessen, vor der Kulisse des hippen
Viertels. O, Amsterdam, o, Prag.
Dann sitzen, im Auto voller Subwoofer, den tiefen tiefen Klang der
Motoren usw. hoeren, nein spueren. Und man sitzt wie vor Farbfeldern
waehrend die tiefe Egopositionierung geschieht, wie auf dem kommoden
Sofa in der Tate Modern. Oder der Schlagzeuger sitzt, schon wieder,
aber naeher an die Produktion gerueckt, im Proberaum und hoert den
anderen an ihren Tretmienen zu, macht sich zu, international, kann
aber nichts mehr spielen, weil die Automaten uebernommen haben
sollen. Nichts tun, spielen lassen. Keine Jukebox der Interaktion.
Man darf den Klangraum auch verlassen, wenn es zu laut ist, was aber
uncool waere. Der jetzt oder auch ohnehin arbeitslose Schlagzeuger,
frueher fuer jeden Krach zu haben, ja dafuer sogar zustaendig,
schaut betreten zu.
Organisation von Stille-sein. Der Krach und Laerm -- es gibt einen
Unterschied -- meint so apolitisch soziale Resonanz statt Verhalten,
wie schwer es doch ist, es zu hoeren, wie die Boersendaten auch
ohne Data Visualization rattern. Sicher, es wird eine
"DIY-Philosphie" heruntergebetet -- siehe den Film _Noise and
Resistance_ von u.a. Julia Ostertag & Francesca Araiza Andrade -- im
engeren Sinn eine Weltanschauung, innerhalb derer Noise politisch in
Stellung gebracht und zum Motor der revolutionaeren "Osmose" fuer
eine Alternative gemacht wird, oder aber auch, Kropotkin gelesen
habend, fuer die anarchische Veraenderung der Welt ohne
Machtuebernahme. Nur argumentieren die Filmemacherinnen auf
Bildebene mit den gleichen oeden, das Medium nicht reflektierenden
Dokumitteln.
Damit setzen sie nur die fuer sie richtigen Inhalte und Botschaften,
ganz wie in der von ihren Protagonisten geschaetzten Musik,
Hardcore, in die uebliche Inszenierung ein: In den Interviews sind
die Interviewten brave Antworterinnen oder Predigende, obwohl
Prediger ja rot/schwarz-geflaggt abgelehnt werden, die Gaertnerin
und ehemalige Crass-Illustratorin Gee Vaucher kommt um die Ecke, wo
die Kamera wartet, und sprengt Gewaechshauspflanzen mit Wasser, die
Fotografie ist klar und deutlich und scharf gestellt draufhaltend,
garnicht so Punk, d.h. die buergerlichen optischen Werte
unterlaufend. Krach mit Attituede muss noch pogobar sein,
Gitarrengriffe sind noch Gitarrengriffe, sogar von Maedchen
erlernbar. Alle so unbestimmt freiheitlichen Vorstellungen eines
gerechteren Systems werden dabei, rituell tradiert, der Abweisung
des Kuenstlichen und Unnaturellen unterstellt, dort wo die
selbermachende, machende, machende Transition-Kultur auf
sich selbstverteidigende Hausbesetzer trifft. Immerhin, einer von der
Band Seein Red spricht davon, dass Anarchowiderstand in die
Institutionen des Sozialen (Arbeitsstelle, Familie usw.) getragen
werden muesse, soll er nicht im Schweiss der Party verpuffen. Bei den
aktuellen Debatten um die Bildung einer bewussten Arbeiterpartei
eventuell eine Schnittmenge.
Der Vorwurf, dass im und beim reinen Droenen Bedeutungsebenen
nun nicht mehr zaehlen und wir ein Displayproblem haben (kannn nicht
sehen wie ers macht), markiert jedoch vielleicht nur die relationale
Unsicherheit von epistemischen sowie Trend-Anspruechen,
um/ueberspielt mit der wohligen Noise-Sicherheit, gegessen schon
vor 50 Jahren mit Fluxus und Stockhausen, der La Monte Young
minimalistisch dazu bewegt, der Pate fuer Lou Reed ("We who have so
much to you who have so little") zu werden, 'dessen' wilder
a-symetrischer Doppel-E- und Double Basslauf, bekannterweise vom
Stueckgutstudiobassisten Herbie Flowers geliefert, Tantiemen bis
heute liefert. Das treibt nun Ulrich Krieger und uns in die Krise der
Neuen Musik und das Displayproblem (also: wie Neue Musik
vermittelbar und verstehbar machen) -- Laptop auf, Laptop zu --
bleibt. Diese Verweigerung jeglicher referentieller Mission im
unpolitischen Krach, nichts direkt anschliessen zu lassen ans
Gesellschafts_politische_, ist das Politikum, da es die Praktiken
wieder in die Subjektivitaet der intersubjektiven Erfahrung
einschliesst. Droenen wie Ritzen. Angst vorm sozialen Realistischen?
Wenn, dann auf beiden Seiten. Der Kunst-Industrial kommt gerade in
den subventionierten Konzerthaeusern an. Der Ritual-Hardcore
langweilt das Wochenendpublikum.
Darum nun Schwerhoeren als marktbalancierender Gegenentwurf bis zur
Hoerigkeit. WAS? Das Ganze transkribieren (Score) und HD-verfilmen
aber aussehen lassen wie 35-mm. Das Diktum Satres (?), dass die
Melodien den Massen vorbehalten bleiben, waehrend die Elite mit
Kunstmusik vorlieb nehmen muss, ist gedreht. Edgar Reitz liess bereits
seinen musikstudentischen Laiendarsteller in Koeln sagen, wie die
konzeptionellen Sgt. Peppers-Beatles so viel naeher ("live nicht
reproduzierbar") an allen sind als alles Konzept.
Aber warum sollte man Partitur bauen aus Tonbandmaterial? Ginge es
darum etwas historisch aufzuschliessen oder den unnachspielbaren
Speicher auf Traegermedium (nochmal Reed: "It can't be done")
doch noch spielbar zu machen, zur Errettung der lebendigen
Spielbarkeit? Als ludditische Aktion, jedoch in Absprache mit dem
Autor einer artistischen Klang-Industrialisierung? So als wuerde der
Patron am Tisch gemeinsam mit seinen Halbleibeigenen speisen?
Die Antwort, es sei die Rache der haendisch aufschreibbaren Musik an
den Dilettanten, klingt plausibler. Noch plausibler aber klingelt die
Erklaerung, Dilettanten koennten nun vom Blatt spielen. Hier liegt
ein Schichtenspezifikum. Studierte, Menschen mit Bildungszugang,
oder wie, haben die laengste Zeit die Moden der Unterklassen
erfolgreicher als diese selbst nachgebaut. Jetzt kommen sie wieder
oben bei sich an. Dorthin kann es jeder schaffen und sich jeden
Scheiss aneignen. Da verlaeuft auch die letzte Verteidigungslinie
der authentischen Authentizisten des Hardcore. Aber, wer ausser
Studenten und Joblosen, hat schon Zeit Mittwoch nachts ins Haus zu
gehen, zu saufen, sich Toxoscheiss anzuhoeren, durchzutanzen,
auszuschlafen?
Touristen, der Feind. Denn noch naeher aber als die Beatles und die
weltweite BBC im Satelliten-gestuetzten Summer of 1967 sind die in
Deine Stadt, Deine Strasse eindringen, die Dir und nur Dir gehoeren
sollte, aber nicht gehoert. Sie gehoert den Eindringligen ebenso
nicht, hoerst Du das denn nicht? Der Transfair etwa des Chaos
Computer Club waere nun der, den Arbeiter und echten Autor Herbie
Flowers nach all den Jahren endlich auszuzahlen, und zugleich den
Patron Reed an den Tisch zu bitten. Aber, man weiss es laengst,
Flowers wurde ja bereits entlohnt. Jede Nachzahlung, bei allem
Ruhm, fuer die wirkliche kreative Leistung, bestaetigt nur den
Preis als Prinzip und die regulatorischen Fantasien fuer gerechten
Lohn, welcher nie existierte und nie existieren kann, sonst waere er
kein Lohn. Denn Lohn muss immer Unterbezahlung sein. Die
Bereicherung, zumindest auf Geldebene gedacht, faende sonst nicht
statt.
Mikro-a-tonale Grenzen sollen das nun ja vermeiden helfen. So als
Dienstleistung bei Indienstnahme der Ohren. Hoer, dies ist nur noch
Schall und keine Interpretierbarkeit mehr -- Rezipient. Ulbrichts
"Yeah Yeah Yeah" und die Dekandenz, der kopierte Dreck aus dem fernen
Osten und Schluss machen in Monotonie. Reset, Anfang fuer weitere
Verhandlungen. Haette ich mich zu entscheiden zwischen Schwerhoeren,
schwerhoerend und schwerhoerig, demnach zwischen Tun, passivem
Aktivsein und Zustand, fiele meine Wahl aufs erstere. Weil, das
geht vorbei. Wenn die Vaeter verlernt haben, sprichwoertlich ihr
Gehirn um- oder abgebaut haben beim jahrelangen Nicht-Zuhoeren und
Monologisieren, erscheint das wie das Analogon fuer den Drone,
dessen Vielwegekommunikation immer erst nach dem Geraeusch
zustandekommen kann, dann wenn das Schwerhoeren vorbei ist.
Ist das Heavy Listening zur Anti-Ware gegen das Einfache
konzipiert, zerfaellt diese Nicht-Kommunikation in ein
Gelingen ausserhalb der Setzung und Haltung ("Kein Ton mehr!", wie
oft hat man das als Schueler schon gejodelt, gekreischt, gekotzt,
gefluestert von Lehrern gehoert?). Drone-Diktatur oder
freizeitparkiges Brummen. Die Freizeit der einen im Park ist
zuforderst mal die Arbeitszeit der anderen, die gerne im Park
liegen wuerden, der ihnen gnaedigst von der herrschenden,
nichtarbeitenden Klasse geoeffnet wurde. Was genau wollen die
zahlenden Gaeste aber sehen und hoeren, erfahren? Die schier
unbeschreibbaren Sensationen wie Schwaene auf dem Wasser, wild
geklebte Plakate, andere zahlende Gaeste, nicht-zahlenden Gaeste,
eine wildplakatierte Jugendkultur mit wiederum zahlenden Gaesten,
doch, ja, auch die Denkmaeler und dann die Absetzung davon ins
nur Anti-Pittoreske, ein wenig roter, oder neuer, post-femischer
pinker (!) Stern. Diese, in allen Kleinsteilen und Dimensionen
unbeschreibbaren Empfindungen, die Wahrnehmungen und ihre
Herstellung bleiben nun uebrig, ohne einen Begriff davon zu haben.
Solche Begriffslosigkeit ist nicht so leicht und die Sensitivitaet
abzueglich des Gross(deutschland)veranstaltungs-Bummsfallera kommt
in karnevalesker Wochenend-Trans-Verkleidung, die nun auch
tagsueber getragen werden darf.
Aber nochmal zurueck zu allem. Der ehemalige Crass-Schlagzeuger
Penny Rimbaud zieht in_Noise and Resistance_ die Nachkriegszeit, in
der er geboren wurde, heran, um auf die Notwendigkeit des
Selbermachens fuers Proletariat in Krisenzeiten hinzuweisen. Das
macht er genauso schulmeistlerich wies hier steht. Wenn nichts da
ist, mach es selbst! zeigt aber an, wie es mit der organischen
Zusammensetzung der Gesellschaft aussieht. Seine Kenntnisse was das
Selber bei Problemen mit dem Computer angeht sind, wie er offen
zugibt, dann beendet. Dass blasierte deutsche Bands wie Tocotronic
an dieser Stelle nur Wohlstandshobby kritisieren koennen ("Macht es
nicht selbst") und die DIYler ueberall Ungleichverteilung sehen und
sich vom Kleinstbuergerlichen Leben zu verabschieden suchen, findet
Entsprechung im standorttragenden Drone der Heavy Listening
Sounddesignergruppe mit einem org hintendran: "Coming to Berlin
Neukoelln". Doch, aber, nein, nicht der Bass macht mehr den Beat,
der Herzschlag des Wettbewerbs macht den Bass. Kommunismus
oder Communismus, Kommunisten oder Anarchisten, diese
Oeffentlichkeitsmache gehoert jetzt schon VW. So wie Herbie Flowers
Basslauf Lou Reed gehoert und das Stadion des Stadionrock nicht
der M a s s e n k l a s s e -- ein anderes Thema. Ach ja, wie
uebersetzt man doch gleich das in Hochschulkreisen momentan
angesagte "empowerment", mit "Mitwirkungsmoeglichkeit" = Gewerkschaft,
mit Aktivierung = DIY, oder mit Bemaechtigung = KP? Letzteres meint
der FAZische-Marxist Dietmar Dath, wenn er "DJ" schreibt.
Matze Schmidt
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