Received 10. 06. 2010 -- 01:01 from
fromRe: Betrifft: Fernhaltung
Liebe Verena,
endlich komme ich zu A(a)ntworten, bzw. Stellungnahmen zu Deinen Vorschlägen, für die ich mich als Erstes bedanke.
"- ein gemeinsamer "ort", wo man hingehört. menschen mit gleicher wellenlänge.
- feedback für das eigene tun. motivation.
- gemeinsame "künstlerische" aktionen
- gemeinsames auftreten. gemeinsame präsenz. gemeinsames organisieren des auskommens und des lebensunterhalts.
... das wäre so meine vorstellung."
Was mir auffällt ist das in jedem von Dir aufgezählten Punkt "gemeinsame", auch das Feedback ist durch die Anwesenheit und Rezeption des Anderen, des Du, bedingt. Auf der Suche nach "Rettungsankern im Wissen" bin ich auf Roland Hagenbüchle gestoßen. 1995 hat eine Konferenz stattgefunden mit dem Titel: "Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität". Die Einleitungsrede zeichnet im Zeitraffer auf ca. 70 Seiten die Entwicklung der Subjektivität, die als theoretischer Begriff ab ca. 1800 in den westeuropäischen Humanwissenschaften und -theorien auftaucht.
So wie es ausschaut, haben wir uns zunehmend zu isolierten Neurotikern entwickelt, denen es wehement verklickert wird, dass man das Leben doch zuerst alleine hinkriegen muss, bevor man sich - wie auch immer - bindet, quasi reife Persönlichkeit. Dazu ein Zitat aus dem Text:
"Die Reformation hat gezeigt, wie enorm der Druck ist, der auf dem Menschen lastet, wenn er seine existentiellen Entscheidungen allein zu treffen hat. Die im Gang befindliche zweite »liberalistische oder individualistische Reformation«, die den Einzelnen völlig auf sich selber stellt (und das Weitere den Marktgesetzen überläßt), erzeugt eine vergleichbare Belastung, die nicht zuletzt den individualgeschichtlichen Anfang von Subjektivität - das Kind - hart trifft."
...und GFW Hegel:
»Wenn sich die Subjektivität in ihrem geistigen Insichsein von unendlicher Wichtigkeit wird«, erklärt schon Hegel,
dann ist das gleichbedeutend mit dem »Ersterben der Seele«; eine solche Subjektivität ist »absolut unglücklich, der ewigen
Verdammnis überantwortet« (Vorlesungen über die Ästhetik, Zweiter Teil, Dritter Abschnitt).
Jean Paul warnt in seiner »Rede des toten Christus«: Wenn jedes Ich sein eigener Schöpfer ist, dann ist es vielleicht auch sein eigener Würgengel.
Auch die Avantgarde sah das Individuum als geschichtliche Fehlentwicklung an, die an den Rand der Selbstzerstörung
geführt habe (Artaud) und nur durch Abschaffung des Individuums zu korrigieren wäre.
Da haben wir es ! Die Utopie sollte lauten: Gemeinsam & kollektiv (ohne gleich in Kommunismus abzurutschen), das ist die Rettung. Eine süße, eine energetisierende, eine nahezu ins Nirvana beflügelnde Vorstellung. An der UdK Berlin wird Kunst im Kontext gelehrt, neben dem politischen auch im eigenen sozialen Erlebniskontext - gemeinsame Arbeit an künstlerischen Projekten. Und nochmal Hagenbüchle:
"Nicht das sich als autonom gebärdende Subjekt, sondern nur ein sich in seinem Gefährdetsein und in seinen Abhängigkeiten durchschauendes Subjekt ist überhaupt in der Lage, im Sinne einer menschlich zu gestaltenden Welt aktiv an der Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken". Nicht dass Kunst diese Art von Funktionalisierung zu bedienen hat, aber auch Kunst ist massgeblich daran beteiligt, Werte zu schaffen.
Ich habe mir genauer Deine Site angeschaut, sehr hübsch und frisch, reflexiv-informativ und anspruchsvoll mit Leichtigkeit. Du gibst Verweise auf andere Kulturschaffende, die mehr oder minder in Eigenregie ihr (Berufs-) Leben meistern. Doch wie könnten diese Menschen eine gemeinschaftliche Arbeit, oder besser gesagt, gemeinschaftliches Schaffen erzeugen? Wie könnte eine gemeinschaftliche Arbeitsform aussehen, die Rücksicht nehmend auf die individuellen Kreativitäten & Sensitivitäten Kulturgut in Form von Dingen und Ideen generiert?
Wir beklagen hier ab und an die prekäre Lage der Kulturschaffenden (dazu übrigens ein guter Artikel aus Österreich:
http://igkultur.at/igkultur/kulturrisse/1136908205/1136975881), Herr Beck sprach in seinem letzten Seminar von "Verbitterungssyndrom" und wartet darauf, dass dies, ähnlich dem Burn-Out, in den Leistungskatalog der GKVs aufgenommen wird. Wir müssen was tun und es wäre hier vielleicht ein guter Platz konkrete Vorschläge, gar Strategien zu überlegen.
Ich bin gegen Fernhaltung, ich bin für investigative Kunst auch wenn sie das unerotische Prädikat: "pädagogisch" bekommen sollte.
... und danke der Nachfrage, die Naomi (schneidenföhnen) ist wie guter Cognac, mit den Jahren immer besser.
Schöne Grüße
Margarete
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