Received 27. 07. 2010 -- 19:37 from
fromRe: Betrifft: Gemeinschaftsbildung
Hallo Hr. Beck,
kann ich mich da mal einklinken?
"Gemeinschaftsbildung unter Gleichen " wie soll denn das gemeint sein? Ich kann mir dazu nur eine egalitäre, basisdemokratische Gruppierung ohne Hierachien vorstellen, in der jede/r sein gleichwertiges Stimmrecht hat.
1. Eines der großen, hier mehrfach bereits schon angesprochenen Probleme der Zeit ist jedoch, das in jedweder Gruppierung einer den anderen zu instrumentalisieren versucht um seine eigenen, oft wirtschftlich orientierten allgemein für vordringlich gesehenen Interessen, durchzusetzen, ....
Wenn wir auf andere zugehen würden, nur um gemeinsam verträgliche Ansätze und Ideen zu vertreten, in vorauseilendem Gemeinsinn etwa und Fairständnis, wäre sicher vieles einfacher unter den Menschen.
Aber da wir latent das Wirtschafts-System reproduzieren (ohne große Worte, ..) welches uns und unser Verhalten strukturiert hat, also die "Vermarktung und das Interesse an unserer wie ebenso latenter Ausbeutung unseres "Gegenübers", zu erklärten und manchmal lohnenswerten Ziel deklariert hat, wird es wenn man sich nicht vorher ehrlich in seiner Haltung dazu abgeglichen hat, deutlich ungemütlicher, ...
"Gemeinsame Sache" machen heißt daher für mich, nicht voneinander "profitieren", sondern miteinander einen Weg gehen in gegenseitiger Hilfe und Anerkennung der mehrseitigen menschlichen "Leistungen" und der aufrichtigen Bereitschaft unter gemeinsamer Zielorientierung in der offenen Aufgabe von Herrschaft, ..
Wie sagte etwa Erich Mühsam 1919, :
"Freiwilliges Schaffen gleichberechtigter Individuen, im Dienste gegenseitiger Hilfe"
Und dazu gehört ein Überwinden grob und fein strukturierter Schemen und Formen der allseitig aktiven "Vermarktung" in einer Markwirtschaftt, die zur Zeit noch von andere Kräfte als jenen, die wir selber be-herrschen, gesteuert wird
2. Ich habe in letzter Zeit wiederholt erlebt, das selbst ansonsten kluge Menschen, die feingliedrigen und bisweilen perfiden Strukturen unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsform zwar bis zu deren meist unbewussten Verteidigung verinnerlicht hatten, aber diese nur annähernd kritisch an- und durchdenken konnten...
Deshalb halte ich es inzwischen für ein enorm wichtiges und persönliches Anliegen, diese Strukturen zu erhellen und deren schädigenden Gehalt weiter zu vermitteln. Daneben sind natürlichere Formen der Kooperation und des gemeinsamens Handelns auszubauen, aber eben nicht unter Vernachlässigung der Aufklärung von Strukturen die uns alle von innen heraus immer noch lenken und in deren Interessen wir weitgehend unbewußt handeln. Gegen unsere eigentlich vitalen Wirk-Kräfte, und denen wir uns zu oft verpflichtet sehen.
(etwa im schlechten Gewissen, wenn wir sie umgehen wollen, ..)
Rudolf Steiner bezieht sich darauf auch schon in seinem alten Text (ebenso 1919),
"Die Kernpunkte der sozialen Frage"
Ich nenne dazu hier nur den Begriff der "Selbstausbeutung" der grob kenntlich macht, das Menschen sich auch selber in fremdgesteuertem, angeblichen Eigen- Interesse gefangen, weiter ausbeuten, aber von der Befreiung von der/dieser Ausbeutung noch relativ weit entfernt sind. Da sie eben meist noch keine eigenen Ziele und Strukturen frei von allgemeiner Vermarktung und über sie wie ein Netz gelegten Wirtschaftsinteressen entwickelt haben, ...
(Adorno dazu. "Die automatisierte Reproduktion des Bestehenden, in seiner etablierten Form, ist Ausdruck der Herrschaft")
3. Nachhaltig Wirtschaften kann man auch ohne permanent an Profite zu denken und an Herrschaftstrukturen, nur sollte dieses Wirtschaften nicht alle freien und sonstigen geistigen, wie lebendigen Prozesse alleinig zu beherrschen vorgeben und anleiten.
Steiner sagt dazu das der dreigeteilte soziale Körper, aufgeteilt in Geist (Kopf) - Blutkreislauf und Ernährungszufuhr, ebenso in der gesellschaftlichen Form/Struktur wiederzufinden sei und eben nicht die Nahrungszufuhr mit der Wirtschaft verglichen, alle sonstigen Bereiche alleinig "beherrschen" und zu steuern vorgeben sollte.
Er sah schon 1919 für gegeben an, das geistige und intellektuelle Kräfte nicht oder kaum unsere auf die Wirtschaft reduziertes Leben steuern, sondern nur dem Profitinteresse unterstellt, peripher dazu beitragen und von jenem gelenkt werden:
Also etwas vereinfacht, ein Buch, ein Text, ein Theaterstück wird nicht publiziert, weil es keine Verwertungschancen hat, obwohl es etwa Potential hätte, und sei es auch nur einen Menschen, weiter in die Nähe seiner geistigen Vollendung zu bringen, ...
4. Ich wäre daher vorerst dafür jegliche Vermarktung und Werbung aus- und abzuschalten und zu schauen, was dann noch an zwischenmenschlichen, relevanten Kontakten "übrig bleibt", um darauf dann etwas Neues und Anderes aufzubauene.
In gewissem Sinne sehe ich dazu die freien Strukturen von "thing" als höchst förderlich und gegeben an, was bleibt uns Anderes als dies zu versuchen und zu wagen?
Was kann uns anderes passieren, als zu scheitern und tun wir das nicht bereits, wenn wir verharren und aufhören etwas Neues und Ungewohntes zu wagen, zu versuchen und auszuprobieren?
Bon.
----- Original Message -----
From: Stefan Beck
To: thing-frankfurt [at] yahoogroups [dot]10 de
Sent: Monday, July 26, 2010 2:49 PM
Subject: Re: [thing-frankfurt] Betrifft: Gemeinschaftsbildung
Lieber Wolf,
ich grübele die ganze Zeit, auf was Deine Argumentation hinaus läuft.
Meine ursprüngliche Frage ging dahin, zu ergründen, wie
Gemeinschaftsbildung unter Gleichen möglich sein könnte.
Deine Antwort scheint zu lauten, man suche sich Verwandte aus anderen
Bereichen.
Mitte der 1990er sahen wir solche Gemeinschaften aus dem Umfeld der HfG
Offenbach hervorgehen. Die Fahrradhalle bildete sich aus Künstlern,
Grafikern, Filmern und DJs.
Ähnliches hat die Städelschule nicht hervorgebracht.
Mir schien das damals beispielhaft. Nach über 10 Jahren bleibt zu
fragen, was daraus geworden ist.
Die Fahrradhalle gibts nicht mehr. Ihr Personal ist wieder in die
Bereiche zurückgekehrt, aus dem es ursprünglich stammte und findet sich
in diversen Agenturen wieder oder verfolgt Karrieren als Einzelkünstler
(Claus Richter).
Worin sich die Auflösung begründete, ist nicht einfach zu sagen. Nach
der Feld-Theorie von Bourdieu ist der Erfolg eines Feldes (Popart zB)
nur dann gegeben, wenn sich die Teilbereiche (Markt/Produkt, Kritik und
Sammlung) homogenisieren und ergänzen. Dies schien im Fall der
Fahrradhalle nicht eingetreten zu sein.
Grüsse
Stefan
> ich finde den Vergleich Band und DJ ganz interessant.
>
> Die Band macht nicht nur die Musik, sondern gestaltet auch die
> Bühnenpäsentation (sei es durch einen charismatischen Sänger/Sängerin,
> oder mittels ausufernden Posing des Gitarristen oder ...)
>
> Der DJ kann zwar die ganze Musik alleine machen, aber er gibt optisch
> idR dabei nicht viel her. Und da es heutzutage selten nur um "reine
> Musik", sondern um Show geht, kann sich der DJ wiederum mit anderen
> Artisten zusammentun, die den visuellen Part übernehmen. Zum Beispiel
> mit einem VJ und/oder TänzerInnen.
>
> Damit ist der DJ dann auch wieder Bestandteil einer Gruppe.
>
> Der Unterschied zur Band liegt darin, dass aufgrund der verschiedenen
> Disziplinen der Gruppenmitglieder diese modularer arbeiten können,
> sprich, einfacher die Besetzungen austauschen können, weniger gemeinsam
> proben müssen. (Der Vergleich hinkt etwas, es gibt auch natürlich
> Instrumentalmusiker, insbesondere in der Improvisationsszene, die
> ähnlich modular arbeiten; ich meine hier die "klassische" Rockband)
>
> Auf die Kunst übertragen wäre interessant das
> "Künstler-/Managerpäärchen": Also der Künstler, der das Bild/Werk
> handwerklich erschafft, und der Manager, der sich um die
> Vermarktung/Vertrieb ... kümmert (was es in der Form Künstler/Galerist
> auch schon zur Genüge gibt). Aber mir fällt kein Beispiel ein, wo beide
> Beteiligte die als gleichberechtigte Urheber/Konzepteure des Werkes
> genannt werden. Künstlergruppen mit geteilten Aufgabenrollen gibts ja
> durchaus.
>
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