Einträge vom Montag, 01. September 2008

[thing-group] Received 01. 09. 2008 12:04 from

Betrifft: einfach so

Lieber Stefan,

ich weiß nicht, ob ich mich nicht doch wiederhole, und ein gänzlich
neuer Ansatz ist es auch nicht, aber ich versuche es:

auf Deinen Eingangssatz bezogen: ich bin derselben Meinung. Nur lege
ich die Kunstgeschichte und Kunsttheorie des 20. und 21. Jahrhunderts
nicht meiner Definition zugrunde – die Kunstgeschichte und
Kunsttheorie des 20. und 21. Jahrhunderts ist die Kunstgeschichte und
Kunsttheorie des 20. und 21. Jahrhunderts.

Auch, dass das moderne Kunstwerk entschlüsselt werden will, ist nicht
unbedingt ein Widerspruch zu meiner Auffassung; ich frage an dieser
Stelle nur wieder: ist es dann auch für ein nicht-Fachpublikum
gemacht? Ich setze ja immer noch voraus, dass es Rezipienten gibt,
dass die Arbeit geschaffen wurde, um mit einem „Außen" zu
kommunizieren... darf z. B. ein Kunst-Laie das Werk kommentieren? In
meinen Augen darf er unbedingt; in denen vieler Etablierter oder
sich-auf-dem-Weg-dahin-Befindenden – habe ich oft den Eindruck – darf
er nicht.

Beim Flaschentrockner haben wir uns dann missverstanden, aber nur ein
bisschen. Selbstverständlich muss jemand gerade ein Ready-made in den
Kunstzusammenhang stellen, damit es so wahrgenommen werden kann. Aber
alles NACH diesem „in den Kunstzusammenhang stellen" muss doch jedem
Menschen zugänglich sein dürfen, oder nicht? Sicher sind die Zugänge
andere, wenn man einen Fach-Studenten und einen Otto-Normal-Betrachter
vergleicht – alles, was ich behaupte, ist, dass auch der
Otto-Normal-Betrachter Kunst erfahren kann, und ich behaupte weiter,
z. B. auch anhand dieses Flaschentrockners. Die Zusammenhänge in der
Kunstgeschichte können (oder dürfen m. E.) nur ein „Plus" sein. Wenn
man dieses „Plus" nun auf den allerersten Rang erhebt bei der
Kunstbetrachtung, schließt man einen Großteil Menschen aus. Das ist
das Eine. Für mich gilt aber genauso: Otto-Normal-Betrachter sollte
sich ruhig mit den Zusammenhängen befassen; ob er sich die anliest,
sich was erzählen lässt... sie bereichern ihn selbstverständlich! Und
er lernt etwas zur Kunstgeschichte und Kunsttheorie des 20. und 21.
Jahrhunderts. Vielleicht sieht er danach alles noch klarer, vielleicht
verschließt sich die Sache ihm wieder... vielleicht möchte er die
Regeln dieses Fachbetriebs kennenlernen und studiert demnächst „Kunst"...

... womit sich für mich der Gedanken-Kreis schließt – und das ist das
Andere – : für diesen demnächst studierten Jemand wird es vielleicht
– oder sogar mit großer Wahrscheinlichkeit – nie wieder ein „einfach
so" geben. Das ist vollkommen in Ordnung. Es sollte ihm nur bewusst
sein, DASS er fortan durch eine Brille sieht, die er so einfach nicht
mehr ablegen kann. Die Brille: das sind die menschengemachten Regeln
des „Systems Kunst", die des etablierten Kunstbetriebes.


Weißt Du was? Mir hat einfach noch niemand schlüssig erklären können –
übrigens auch nicht mit Hilfe der Kunstgeschichte und Kunsttheorie des
20. und 21. Jahrhunderts – warum das eine in den Kunstkanon
aufgenommen wird und ein anderes nicht... und wichtig ist der Satzteil
in den Spiegelstrichen. Eine streitbare Etablierte hat mir einmal
geantwortet, dass genau das eben das Geheimnis und damit eben Kunst
sei, dass man das nicht könne, eine andere ebenso streitbare
Etablierte hätte gerne einen eindeutigeren Kriterienkatalog, damit
eben nicht „alles Kunst sein darf, was Kunst sein soll". Sogar die im
selben Boot streiten, und solange sie auf diese Art streiten, kann ich
meine selbstgewählte Abseits-Haltung auch schlecht aufgeben... ich
glaube einfach nicht an dieses aktuelle „System Kunst", vielleicht –
obwohl der Vergleich natürlich hinkt – wie ich nicht an eine bestimmte
politische Partei „glaube". Wenn mir also jemand sagt ‚studier's halt,
dann verstehst Du's auch', dann ist das so, als würde ich in eine
Partei eintreten. Selbstverständlich verstehe ich dann irgendwann das
Parteibuch, nur: gehe ich fälschlicherweise von einer
Allgemeingültigkeit aus, nur, weil alles so nett schlüssig ist, komme
ich trotzdem in Teufels Küche. Es funktioniert nur innerhalb des
geschlossenen Systems.

Und „Kunst" sollte kein „geschlossenes System" sein.






--- In thing-frankfurt [at] yahoogroups [dot] de hat "Sabine Pint"
geschrieben:
>
> Lieber Stefan,
>
> für eine Antwort brauche ich länger und möchte mir die Zeit auch
> nehmen. Jetzt geht es an die Grundlagen unserer unterschiedlichen
> Denkweisen, und ich glaube, beide (und alle anderen auch) sind ernst
> zu nehmen.
>
> Damit ich mich aber nicht wiederhole, werde ich wirklich einen neuen
> Erklärungsansatz für mein Denken zu finden versuchen und erst dann
> antworten - oder womöglich auch erklären, dass ich das nicht kann.
>
> Einstweilen ein schönes Wochenende, viele Grüße,
>
> Sabine
>
>
> --- In thing-frankfurt [at] yahoogroups [dot] de hat Stefan Beck
> geschrieben:
> >
> > Liebe Sabine,
> >
> > ich bin der Meinung, dass ein "einfach so" der gesamten
Kunstgeschichte
> > und Kunsttheorie des 20. Jhds. widerspricht.
> >
> > Es liegt in der Modalität des modernen Kunstwerks, dass es
> entschlüsselt
> > und dechiffriert werden will.
> >
> > Eigentlich müsste schon das Beispiel mit dem Flaschentrocken deutlich
> > machen, dass es ein "einfach so" nicht gibt. Du kannst den
> > Flaschentrockner überhaupt erst wahrnehmen, indem er in einem
> > Galerieraum auftritt, aber in seinem Modus des Ready Mades den
> > Galerieraum genauso sichtbar macht und stützt.
> >
> > Und schliesslich beruht die Arbeit und die Existenz von Thing
Frankfurt
> > darauf, dass es ein "einfach so" nicht kennt.
> >
> > Wenn es jemals ein "einfach so" in der Kunst gegeben haben sollte,
dann
> > liegt es in der Zeit vor The Thing. Dahin zurück will und kann ich
> nicht
> > gehen.
> > >
> > > ich möchte eine Arbeit, z. B. eine Duchamps, nicht zuerst im
> > > kunsthistorischen Kontext sehen und ihren Stand dort würdigen,
sondern
> > > einfach so. Ich sehe etwas, und es stößt etwas in mir an. Oder eben
> > > nicht. Egal, wer der Erschaffer ist oder war. Vielleicht trifft der
> > > Künstler bei mir den Nerv, den er treffen wollte, vielleicht nicht,
> > > vielleicht regt er einen Gedanken an, der ihm selbst fernlag
oder den
> > > anzuregen ihm fernlag ? und trotzdem geschieht es manchmal, und es
> > > geschieht ?Kunst".
> > >
> >
> >
> > --
> >
> >
> > The Thing Frankfurt
> > http://www.thing-frankfurt.de
> >
> > * * *
> >
> > Stefan Beck
> > Hohenstaufenstr. 8
> > 60327 Frankfurt
> > T. ++49-(0)69 - 741 02 10
> >
> > Thing Frankfurt Mailinglist:
> > mailto:thing-frankfurt-subscribe [at] yahoogroups [dot] de
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