Einträge vom Freitag, 27. Juli 2012

[thing-group] Received 27. 07. 2012 17:20 from

t-shirtz.org "03.06.1967"

t-shirtz.org

"03.06.1967"


29.07. - 29.09.2012
Bildungszentrum Mosbach, Am Wasserturm 1-3, 74821 Mosbach


Die Legende könnte lauten: Acht Tage vor meiner Geburt wurde Benno
Ohnesorg erschossen ... und ist das nicht bereits in Popsongs
verarbeitet worden? Die weniger heroische Version wäre: Es handelt
sich um den Versuch einer Rekonstruktion signifikatorischer
Körperpolitik. Und in der Tat (die hier bedeutet, etwas anzuziehen)
ist es so, dass ein T-Shirt zu tragen auch heißt, zwischen der
Unmöglichkeit des Nicht- Nichtkommunizieren-Könnens und dem
Materialischen zu stehen, zu gehen, zu sitzen usw. In einer
Direktheit, die immer noch etwas obszön wirkt, so direkt auf der
Grenze des Ich. Das Hemd mit halbem Ärmel in der Form eines
oberleibigen, torsohaften T ist textil und darunter ist meistens
nichts mehr als eben der Oberkörper. Das schnelle billige, oder
"billige" aber teuer gekaufte, gefundene, bedruckte, bemalte,
bezeichnete Hemd kann Schmuck und Zeichen sein, diesen Körper
verdecken oder das Display für ihn oder etwas anderes sein. Dieses
Andere wäre zum Beispiel möglich als Aktion auf einer
Einkaufstrasse, an einem etwas zu kühlen Samstag im Juni, einen Tag
nach dem Tod eines Studenten, der auf einer Demonstration gegen die
Zurschaustellung der unterdrückenden Macht erschossen wurde.

Studierende hatten damals privilegiert Hirn und Zeit, oder gelten
heute als Ausgebildete mit erzwungener arbeitsloser Freizeit. Während
also wirkliche Revolutionen und Proteste Heimatarmeen, die Soziologie
und die Studies beschäftigten, liegt in der zivilgesellschaftlichen
Historie des Landes, aus dem die Nazis stammen, eine bekannte
Geschichte, auf die sich die so genannten 68er vielleicht gerne
berufen, weil sie deren Mythos verstärkt und ihn historisch
mitbegründet, spielerisch, einfallsreich, kreativ, effektiv, bewusst,
antiautoritär zu sein oder gewesen zu sein. Mit Bezug zum
Zeitgenössischen würde die Erzählung so gehen: So wie das Öffentliche
sich angeblich wie Wasser seinen Weg sucht, so hätte die
"Facebookrevolution", den Verboten und dem Gewaltmonopol zum Trotz,
das technisch ausgefeilteste Medium gewählt und das Soziale sei darum
prima facie medial determiniert. Oder entscheidet sich
alles doch immer noch auf der Strasse, weil dort der Realraum wütet
und Online doch nur Ãœberbau bleibt?


Unser Medium darf jedes T-Shirt sein

An jenem Sommertag erging ein Demonstrationsverbot in Berlin und alle
Banner waren illegal. Und wie der Stereotyp will, war es ein
Kunststudent (Peter Homan), der vorschlug, wie man das Verbot der
Zeichen umgehen könne. Indem man einen Slogan aufsplittet und auf
Individuen ohne Zusammenrottung verteilt, die dann, als 'vernetzte'
und wie ein Halbsatz funktionierend, das ganze Wort bilden. Zwei
Wörter mit je acht Buchstaben bzw. Zeichen wurden auf acht weiße
T-Shirts in großen schwarzen, handgemalten Lettern gegeben. Auf die
Vorderseite der Name des Regierenden, auf die Rückseite die Forderung.
Richtig choreografiert wird dann im Umdrehen aus einem L ein B usw.
und so aus dem einen ein weiteres Wort. Die Syntax wurde also
von vielen geleistet und das T-Shirt zum unerreichten
Nachrichtenträgermedium-Bypass. Die Grundform von "TÖTET DEN KÖNIG!"
oder genauer "WIR WOLLEN EINEN NEUEN KÖNIG!" hieß damals:


A L B E R T Z !

A B T R E T E N

Das kam in die Zeitungen und ins Fernsehen. "Echtzeit-Anwendungen"
wie twitter lassen sich auch als neue mediale Phänomene immer noch an
solchen Medialisierungen halbtoter Medien messen. Denn die 'echte'
Zeit der Bewegungen im Politischen kann nurmehr mit omnipräsenten
Schreibflächen wie eine zerlesene und jeweils angewendete erscheinen
und erreicht die Vielen, nämlich "die" in diversen disparaten sozialen
Gefügen. In der Interdependenz und relativen Selbstverstärkung
kommunikativer Massierung per aktuellestem Telegrammstil und aktueller
Telegrammtechnik. Dieses aber FÜR die Aktion auf Terrain, für zu
kalkulierende Anwesende. Meldeten sich nicht kürzlich bereits Tausende
online zu weiteren Protesten in Moskau an, auch weil sie Bilder
vorangegangener Demonstrationen gesehen hatten, die von einer
selbstgebauten Mini-Drohne aufgenommen wurden? Messagehemden und
identifikatorische Hemden sind dennoch beliebteste. Verteiler des
Koran trugen in Deutschland T-Shirts mit der Aufschrift "LIES! Im
Namen Deines Herren", Verteiler des Grundgesetztes der BRD trugen
zunächst nur ihre Staatsgläubigkeit, aber ukrainische Femen die Worte
"FUCK EURO 2012" Schwarz auf Haut. Text und Corpus in Kopplung, aber
in Kopplung und nicht im Selben. Displayartige T-Shirts für die
Ausweitung der Person zu halten, als zweite aber beschriebene Haut,
würde die Formgestalt zum Ego machen.


Reenacment TSHIRTZ! ?

Die Sprache der Gewalt, die den sprachlich versierten
Hemdenträgerinnen vor über 40 Jahren entgegenschlug, konnte vielleicht
genauso Mindsets programmieren, wie die Behauptung, Boulevardblätter
könnten lediglich vorhandene Stimmungen "in der Bevölkerung"
verstärken, sie aber nicht erzeugen. Damals wurde genau diese These
der einfachen Amplifikation des bereits Integrierten attackiert. Wenn
"Polizei" auf der Jacke steht, wird die Lesart weitverbreitet
untertänigst sein. Auch Camp kann da nichts ausrichten. Die Aufschrift
"Polizei" auf grünem Grund war vor ein paar Jahren die kleine
Rebellion, aber zugleich die Aneignung des Hoheitsrechts und damit
dessen Bestätigung. Eine Überkreuzfigur der Symbol-Verwendung.
Jedenfalls erkannten Wortführer der Herrschenden sowie Habermas auf
terroristischen Voluntarismus der sozialistischen Bewegung oder sogar
linken Faschismus. Schon zehn Jahre später waren viele Anhänger
dieses Terrorismus wohl eher am arbeitsteiligen Modell "sie Lehrerin
mit Gehalt, er freier Künstler" oder umgekehrt interessiert.

Die damalige Aufstellung mit den über die reguläre Oberbekleidung
gezogenen weißen T-Shirts eigens wiederaufzuführen, ist aber nicht
nötig. Denn vielerorts wird offenbar immer mal wieder darauf
zurückgegriffen, wie kürzlich auf der Aktionswoche gegen Rüstung in
Kassel. Dort stand, ebenfalls sich eher verkleidend als tragend, auf
sechs weißen T-Shirts "KE IN E PA NZ ER". Die Adressaten oder die
Adressierung, so ließe sich folgern, macht auch hier den Eindruck
einer naiv-lettristischen Action Directe. Ja, jeder, der ein
politisches T-Shirt trägt, ist potentieller Bombenleger. Ein Danach
oder darüber-Hinaus könnte ja auch heißen: "BE WA FF NET EU CH". Aber
Rede, täglich getragen, zerfällt oder hat gar keine Halbwertszeit.
Auch weil sie oft dem Träger (dem Verkleideten) zugeordnet wird, also
mit diesem verwechselt wird. Man müsste demnach fragen, ob das Motiv,
die Aufschrift, die Spur auf dem Hemd, Ausdruck des Tragenden ist,
oder die Person, von Fall zu Fall, lediglich das Medium fürs Medium
darstellt. Oder aber ob gesagt wird "Das ziehe ich mir nicht an".

Vor ein paar Tagen stieg ein junger Mann aus dem Kleinwagen seines
Vaters, er trug ein olivfarbenes T-Shirt mit der Aufschrift "burnout"
in Orange. Darüber zog er sogleich ein blaues Kapuzenschirt mit der
Aufschrift "ENJOY" in hellem Gelb, Rot, Blau ...

Matze Schmidt


t-shirtz zeigt T-Shirts, Recherchen und Skizzen aus den letzten
3 Jahren. Dazu Entwürfe von Audio-CDs des Bandprojekts 38317. glitchè
legt ausgewählte Tracks auf und zerrrscratcht. Alles in einer Person.


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