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[thing-group] Received 26. 11. 2006 -- 20:20 from from

Polizei suchen Internet

Neulich hörte ich, ein Politiker habe gefordert, die Polizei müsse das
Internet genauso durchsuchen, wie sie im öffentlichen Raum auf Streife
ginge.

Die Polizei als Googlebot? Eine Analogie von Internet zum öffentlichen
Raum wirkt hier naheliegend, geht aber von der Struktur des Internets
her nicht auf.

Der öffentliche Raum in Rahmen nationalstaatlicher Prägung ist in erster
Linie auf Kontrolle gegründet, auf Pflicht und Gehorsam, auf Recht und
Gesetz.

Das Internet hingegen ist weitgehend frei von solchen Zwängen. Der
grundlegende Impuls des Internets ist Freiwilligkeit. Niemand ist zu
irgendwas gezwungen. Wo Zwänge existieren, z.B. seine Identität
preiszugeben, können sie leicht ausgehebelt oder relativiert werden.

Die Menschen gehen nicht zu Myspace, Youtube oder Flickr, weil sie von
einer übergeordneten Institution dazu angehalten würden, auch nicht, um
Arbeiten und Geld verdienen zu müssen, sondern aus freien Stücken. Wenn
es ihnen dort nicht gefällt, können sie genauso wieder gehen, wie sie
gekommen sind. Ohne Gründe angeben oder Sanktionen befürchten zu müssen.

Wenn die Polizei einer Überwachung des Internets nahe kommen wollte, so
müsste sie sich an den Strukturen jener Gebilde orientieren. Kein Mensch
im Internet geht mehr als nötig und lange verweilend auf Internetseiten
wie bundesregierung.de, verfassungsschutz.de oder polizei.de. Warum?
Weil diese Seiten komplett unattraktiv sind. Neue Freunde gewinnen,
Spiele oder mp3s tauschen, alles Fehlanzeige.

Folglich sind auch Kampagnen wie Du bist Deutschland komplett unsinnig.
Wer jemand ist, erfährt man nicht auf deutschland.de sondern auf myspace.com

Die Webseiten staatlicher Organe sind Repräsentanten von
Kontrollmechanismen, die im Internet jegliche Glaubwürdigkeit und
Anziehungskraft verloren haben.

Im Gegenteil ist zu beobachten, wie Menschen sich auf Myspace oder
Youtube entblössen, wie sie es weder dem Einwohnermeldeamt, noch den
eigenen Nachbarn gegenüber täten. Und freiwillig.

Ich suche nicht.Ich finde?

Daß das traditionelle Suchen seinem Ende zugeht, zeigen die jüngsten
Aktivitäten der grossen Suchmaschinen. Yahoo kaufte die Phototauschbörse
Flickr, Google dessen Pendant Youtube. Ihre Gemeinsamkeit liegt in der
Abkehr vom willentlichen Auffinden verborgener Gegenstände, - in einer
Zuwendung einer emergenten Produktion sozialbedingtabhängiger Fakten.

Noch findet Google für mich, aber in absehbarer Zeit wird del.icio.us
Google überholen, weil Millionen User etwas gemeinsam herstellen, bevor
es überhaupt gesucht werden muss.

Wenn es eine Zukunft staatlicher Überwachung des Internets geben kann,
dann nicht in der Übernahme eines monströsen Polizeigoogle, sondern in
der Schaffung von Gebilden, Autopoiesen könnte ich sie nennen, in denen
die Menschen von sich aus das produzieren, was die Polizei braucht.
Wahrlich eine Aufgabe.

* * *

Eine Parallele zur Kunst ist hier leicht zu ziehen. Noch wirken Museen,
Galerien, Kuratoren so, als wären sie eine Art von Google, das das noch
unendeckte doch gleichsam unbewusst begehrte sichtbar macht.

Die Lehre, die das Internet der Kunst aufgibt, sei sie materiell oder
nicht, besteht darin, daß es nichts vorgängiges gibt, das enthüllt
werden müsste. Sondern, daß die Kunst unwillkürlich von denen
(vor)produziert wird, die sie zu suchen vorgeben.


--


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* * *

Stefan Beck
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