Einträge vom Sonntag, 10. Mai 2009
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0-) n0name nachrichten #137 So., 10.05.2009 12:21 CET
*Inhalt/Contents*
1. Debord - La Société du spectacle.srt als .txt 1
2. verteidigt das Portal der Fantasie
aus: _3000/futuristische Phantasmen und aktuelle Fantasien
der Technokultur 3.2_ (Fortsetzung aus nn #136)
31 KB, ca. 18 DIN A4-Seiten
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1.
Debord - La Société du spectacle.srt als .txt 1
Zunaechst einmal muss die srt und die Filmdatei den absolut
identischen Namen haben (vor dem Punkt) und im gleichen Ordner liegen.
1
00:00:05,795 --> 00:00:09,095
Die Gesellschaft des Spektakels
2
00:00:10,836 --> 00:00:13,384
Geschrieben und realisiert von Guy Debord
3
00:00:13,718 --> 00:00:16,562
nach seinem Buch
»Die Gesellschaft des Spektakels«
4
00:00:46,645 --> 00:00:49,975
In Entwendung schon vorher existierender Filme
5
00:00:50,219 --> 00:00:52,561
ist von folgenden Werken Gebrauch gemacht worden:
6
00:01:11,413 --> 00:01:15,276
ebenso von Werken einer bestimmten Zahl
7
00:01:15,535 --> 00:01:18,136
bürokratischer Filmemacher sogenannter sozialistischer Länder.
8
00:01:25,348 --> 00:01:32,253
Der Kommentar des vorliegenden Films, fertiggestellt im October
1974, besteht zur Gänze aus Auszügen der Erstausgabe von
»Die Gesellschaft des Spektakels« (1967)
9
00:01:40,446 --> 00:01:43,619
Weil jedes besondere Gefühl
10
00:01:44,035 --> 00:01:46,878
nur Teil des Lebens
11
00:01:47,019 --> 00:01:49,618
und nicht das ganze Leben ist,
12
00:01:49,854 --> 00:01:52,210
brennt das Leben darauf sich zu verströmen
13
00:01:52,587 --> 00:01:55,689
über die Mannigfaltigkeit der Gefühle
14
00:01:56,129 --> 00:02:00,158
und sich in dieser Gesamtheit des Verschiedenen wiederzufinden.
15
00:02:00,472 --> 00:02:03,715
In der Liebe existiert das Getrennte noch,
16
00:02:04,045 --> 00:02:07,343
aber nicht mehr als getrennt : da vereint,
17
00:02:07,626 --> 00:02:10,752
und der Lebende begegnet dem Lebenden.
18
00:02:13,069 --> 00:02:16,956
Dieser Film ist Alice Becker-Ho gewidmet
19
00:02:25,901 --> 00:02:30,946
Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen
Produktionsbedingungen herrschen
20
00:02:31,154 --> 00:02:35,315
erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln.
21
00:02:35,728 --> 00:02:38,570
Alles was unmittelbar erlebt wurde
22
00:02:38,706 --> 00:02:42,119
ist in eine Vorstellung entwichen.
23
00:02:43,352 --> 00:02:46,688
Die Bilder, die sich von jedem Aspekt des Lebens abgetrennt haben,
24
00:02:46,824 --> 00:02:48,585
verschmelzen in einen gemeinsamen Lauf,
25
00:02:48,729 --> 00:02:52,073
in dem die Einheit dieses Lebens nicht wiederhergestellt werden kann.
26
00:02:52,215 --> 00:02:54,723
Die teilweise betrachtete Realität
27
00:02:54,835 --> 00:02:57,472
entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit
28
00:02:57,583 --> 00:02:59,884
als abgesonderte Pseudo-Welt,
29
00:03:00,012 --> 00:03:02,517
Objekt der bloßen Kontemplation.
30
00:03:02,660 --> 00:03:06,830
Die Spezialisierung der Bilder der Welt findet sich vollendet
31
00:03:07,046 --> 00:03:09,475
in der autonom gewordenen Bildwelt wieder,
32
00:03:09,674 --> 00:03:12,936
in der sich das Verlogene selbst belogen hat.
33
00:03:13,165 --> 00:03:15,035
Das Spektakel überhaupt,
34
00:03:15,115 --> 00:03:17,352
als konkrete Verkehrung des Lebens,
35
00:03:17,551 --> 00:03:21,177
ist die eigenständige Bewegung des Unlebendigen.
36
00:03:22,584 --> 00:03:26,495
Das Spektakel stellt sich zugleich als die Gesellschaft selbst,
37
00:03:26,589 --> 00:03:28,344
als Teil der Gesellschaft
38
00:03:28,448 --> 00:03:31,036
und als Vereinigungsinstrument dar.
39
00:03:31,156 --> 00:03:33,281
Als Teil der Gesellschaft ist das Spektakel ausdrücklich der Bereich,
40
00:03:33,440 --> 00:03:37,435
der jeden Blick und jedes Bewusstsein auf sich zieht.
41
00:03:37,634 --> 00:03:40,047
Aufgrund dieser Tatsache, dass dieser Bereich abgetrennt ist,
42
00:03:40,174 --> 00:03:43,690
ist er der Ort des getäuschten Blicks und des falschen Bewusstseins;
43
00:03:43,969 --> 00:03:46,142
und die Vereinigung, die es bewirkt,
44
00:03:46,293 --> 00:03:48,915
ist nichts anderes als eine offizielle Sprache
45
00:03:49,040 --> 00:03:51,051
der verallgemeinerten Trennung.
46
00:03:52,307 --> 00:03:55,181
Seguy (Bürokrat der CGT) nach dem Streik 68 zu den Arbeitern:
47
00:03:55,268 --> 00:03:57,278
Wir haben viel erreicht,
48
00:03:57,419 --> 00:04:01,402
aber es ist auch noch viel zu tun.
49
00:04:03,530 --> 00:04:06,800
Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern,
50
00:04:06,902 --> 00:04:12,570
sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis
zwischen Personen.
51
00:04:13,337 --> 00:04:16,117
In seiner Totalität begriffen, ist das Spektakel
52
00:04:16,253 --> 00:04:20,910
zugleich das Ergebnis und die Zielsetzung der bestehenden
Produktionsweise.
53
00:04:21,110 --> 00:04:23,587
Es ist kein Zusatz zur wirklichen Welt,
54
00:04:23,730 --> 00:04:25,887
kein aufgesetzter Zierat.
55
00:04:26,101 --> 00:04:30,153
Es ist das Herz des Irrealismus der realen Gesellschaft.
56
00:04:30,448 --> 00:04:32,724
In allen seinen besonderen Formen:
57
00:04:32,836 --> 00:04:34,834
Information oder Propaganda,
58
00:04:34,977 --> 00:04:38,461
Werbung oder unmittelbarer Konsum von Zerstreuungen
59
00:04:38,612 --> 00:04:40,354
ist das Spektakel
60
00:04:40,514 --> 00:04:43,981
das gegenwärtige Modell des gesellschaftlich herrschenden Lebens.
61
00:04:44,316 --> 00:04:46,761
Es ist die allgegenwärtige Behauptung
62
00:04:46,943 --> 00:04:52,632
der in der Produktion und ihrem korollären Konsum bereits getroffenen
Wahl.
63
00:04:53,407 --> 00:04:57,137
Die Trennung selbst gehört zur Einheit der Welt,
64
00:04:57,385 --> 00:04:59,638
zur globalen gesellschaftlichen Praxis,
65
00:04:59,813 --> 00:05:02,833
die sich in Realität und Bild aufgespalten hat.
66
00:05:02,977 --> 00:05:04,418
Die gesellschaftliche Praxis,
67
00:05:04,583 --> 00:05:07,738
vor die sich das autonome Spektakel stellt,
68
00:05:07,895 --> 00:05:11,555
ist auch die das Spektakel umfassende wirkliche Totalität.
69
00:05:12,212 --> 00:05:14,449
Aber die Aufspaltung dieser Totalität
70
00:05:14,568 --> 00:05:19,672
verstümmelt sie so sehr, dass sie das Spektakel als ihren Zweck
erscheinen lässt.
71
00:05:20,608 --> 00:05:24,321
In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre
72
00:05:24,458 --> 00:05:27,111
ein Moment des Falschen.
73
00:05:28,860 --> 00:05:31,017
Seinen eigenen Begriffen nach betrachtet,
74
00:05:31,163 --> 00:05:34,069
ist das Spektakel die Behauptung des Scheins
75
00:05:34,173 --> 00:05:37,806
und die Behauptung jedes menschlichen, d.h. gesellschaftlichen Lebens
76
00:05:37,900 --> 00:05:39,628
als eines bloßen Scheins.
77
00:05:39,829 --> 00:05:42,706
Aber die Kritik, die die Wahrheit des Spektakels trifft,
78
00:05:42,857 --> 00:05:46,060
entdeckt es als die sichtbare Negation des Lebens;
79
00:05:46,252 --> 00:05:47,913
als eine Negation des Lebens,
80
00:05:48,097 --> 00:05:50,509
die sichtbar geworden ist.
81
00:05:58,158 --> 00:06:01,900
Das Spektakel stellt sich dar als eine ungeheure, unbestreitbare
82
00:06:02,041 --> 00:06:04,789
und unerreichbare Positivität.
83
00:06:05,053 --> 00:06:06,922
Es sagt nichts mehr als:
84
00:06:07,050 --> 00:06:08,520
»Was erscheint, das ist gut;
85
00:06:08,624 --> 00:06:10,749
und was gut ist, das erscheint.«
86
00:06:10,876 --> 00:06:13,378
Die durch das Spektakel prinzipiell geforderte Haltung
87
00:06:13,538 --> 00:06:15,661
ist diese passive Hinnahme,
88
00:06:15,852 --> 00:06:17,786
die es schon faktisch erwirkt hat
89
00:06:17,914 --> 00:06:20,406
durch seine Art, unwiderlegbar zu erscheinen,
90
00:06:20,542 --> 00:06:23,498
durch sein Monopol des Scheins
91
00:06:24,041 --> 00:06:26,886
Das Spektakel unterjocht sich die lebendigen Menschen,
92
00:06:27,069 --> 00:06:30,338
insofern die Ökonomie sie gänzlich unterjocht hat.
93
00:06:30,536 --> 00:06:34,227
Es ist nichts als die sich für sich selbst entwickelnde Ökonomie.
94
00:06:34,397 --> 00:06:37,390
Es ist der getreue Widerschein der Produktion der Dinge
95
00:06:37,510 --> 00:06:41,072
und die ungetreue Vergegenständlichung der Produzenten.
96
00:06:41,368 --> 00:06:44,532
Da, wo sich die wirkliche Welt in bloße Bilder verwandelt,
97
00:06:44,668 --> 00:06:47,258
werden die bloßen Bilder zu wirklichen Wesen
98
00:06:47,448 --> 00:06:51,650
und zu den wirkenden Motivierungen eines hypnotischen Verhaltens.
99
00:06:53,328 --> 00:06:57,172
Je nachdem wie die Notwendigkeit gesellschaftlich geträumt wird,
100
00:06:57,402 --> 00:06:59,738
wird der Traum notwendig.
101
00:07:00,006 --> 00:07:04,009
Das Spektakel ist der schlechte Traum der gefesselten, modernen
Gesellschaft,
102
00:07:04,244 --> 00:07:07,735
der schließlich nur ihren Wunsch zu schlafen ausdrückt.
103
00:07:07,951 --> 00:07:11,654
Das Spektakel ist der Wächter dieses Schlafes.
104
00:07:13,184 --> 00:07:16,445
Die Tatsache, dass die praktische Macht der modernen Gesellschaft
105
00:07:16,539 --> 00:07:18,275
sich von selbst abgehoben
106
00:07:18,400 --> 00:07:21,793
und sich ein selbständiges Reich im Spektakel fixiert hat,
107
00:07:21,931 --> 00:07:24,709
ist nur aus dieser anderen Tatsache,
108
00:07:24,866 --> 00:07:28,850
dass diese mächtige Praxis immer noch selbstzerrissen
109
00:07:29,121 --> 00:07:32,936
und sich selbst widersprechend geblieben war, zu erklären.
110
00:07:34,625 --> 00:07:37,245
Die älteste gesellschaftliche Spezialisierung ist es,
111
00:07:37,396 --> 00:07:39,186
die Spezialisierung der Gewalt,
112
00:07:39,402 --> 00:07:41,431
die an der Wurzel des Spektakels liegt.
113
00:07:41,574 --> 00:07:43,140
Das Spektakel ist somit
114
00:07:43,260 --> 00:07:47,109
eine spezialisierte Tätigkeit, die für die Gesamtheit der anderen
115
00:07:47,297 --> 00:07:51,550
Es ist die diplomatische Repräsentation der hierarchischen
Gesellschaft vor sich selbst,
116
00:07:51,738 --> 00:07:53,933
wo jedes andere Wort verbannt ist.
117
00:07:54,077 --> 00:07:57,625
Hier ist das Modernste auch das Archaischste.
118
00:07:58,095 --> 00:08:00,859
Die verallgemeinerte Entzweiung des Spektakels
119
00:08:01,003 --> 00:08:03,632
ist untrennbar vom modernen Staat,
120
00:08:03,791 --> 00:08:07,722
— d.h. von der allgemeinen Form der Entzweiung in der Gesellschaft —,
121
00:08:07,889 --> 00:08:10,503
dem Produkt der Teilung der gesellschaftlichen Arbeit...
122
00:08:10,691 --> 00:08:13,613
und dem Werkzeug der Klassenherrschaft.
123
00:08:16,685 --> 00:08:17,883
Im Spektakel
124
00:08:18,059 --> 00:08:20,791
stellt sich ein Teil der Welt vor der Welt dar,
125
00:08:20,903 --> 00:08:22,445
und ist über sie erhaben.
126
00:08:22,589 --> 00:08:26,421
Das Spektakel ist nur die gemeinschaftliche Sprache dieser Trennung.
127
00:08:26,590 --> 00:08:28,476
Was die Zuschauer miteinander verbindet,
128
00:08:28,620 --> 00:08:31,591
ist nur ein irreversibles Verhältnis zum Zentrum selbst,
129
00:08:31,716 --> 00:08:33,165
das ihre Vereinzelung aufrechterhält.
130
00:08:33,316 --> 00:08:35,282
Das Spektakel vereinigt das Getrennte,
131
00:08:35,457 --> 00:08:38,350
aber nur als Getrenntes.
132
00:08:40,394 --> 00:08:43,078
Der Arbeiter produziert nicht sich selbst,
133
00:08:43,270 --> 00:08:46,130
sondern eine unabhängige Macht.
134
00:08:46,354 --> 00:08:49,597
Der Erfolg dieser Produktion, ihr Ãœberfluss,
135
00:08:49,757 --> 00:08:53,638
kehrt zum Produzenten als Überfluss der Enteignung zurück.
136
00:08:54,143 --> 00:08:57,603
Die ganze Zeit und der ganze Raum seiner Welt werden ihm
137
00:08:57,785 --> 00:09:00,698
bei der Akkumulation seiner entfremdeten Produkte fremd.
138
00:09:00,941 --> 00:09:03,194
Eben die Kräfte, die uns entgangen sind,
139
00:09:03,353 --> 00:09:06,619
zeigen sich uns in ihrer ganzen Macht.
140
00:09:08,522 --> 00:09:10,600
Der von seinem Produkt getrennte Mensch
141
00:09:10,734 --> 00:09:12,381
produziert immer machtvoller.
142
00:09:12,509 --> 00:09:15,365
alle Einzelheiten seiner Welt
143
00:09:15,585 --> 00:09:19,271
und findet sich dadurch immer mehr von seiner Welt getrennt.
144
00:09:19,515 --> 00:09:22,679
Je mehr sein Leben jetzt sein Produkt ist,
145
00:09:22,799 --> 00:09:25,895
um so mehr ist er von seinem Leben getrennt.
146
00:09:26,714 --> 00:09:28,907
Das Spektakel ist das Kapital,
147
00:09:29,049 --> 00:09:32,742
das einen solchen Akkumulationsgrad erreicht, dass es zum Bild wird.
148
00:09:33,000 --> 00:09:38,977
Man könnte diesem Film noch einen gewissen Wert zuerkennen,
149
00:09:39,429 --> 00:09:45,803
wenn er den bisherigen Rhytmus beibehielte; das tut er aber
nicht.
Tätigkeiten spricht.
150
00:09:47,895 --> 00:09:49,240
Die kritische Theorie.
151
00:09:49,381 --> 00:09:52,257
muss sich in ihrer eigenen Sprache mitteilen.
152
00:09:52,736 --> 00:09:54,925
Diese Sprache ist die Sprache des Widerspruchs,
153
00:09:55,116 --> 00:09:57,561
die in ihrer Form dialektisch sein muss,
154
00:09:57,672 --> 00:09:59,973
wie sie es in ihrem Inhalt ist.
155
00:10:00,276 --> 00:10:02,257
Sie ist Kritik der Totalität
156
00:10:02,392 --> 00:10:04,383
und geschichtliche Kritik.
157
00:10:04,637 --> 00:10:07,290
Sie ist kein »Nullpunkt des Schreibens«,
158
00:10:07,441 --> 00:10:09,096
sondern seine Umkehrung.
159
00:10:09,438 --> 00:10:11,659
Sie ist keine Negation des Stils,
160
00:10:11,786 --> 00:10:14,215
sondern der Stil der Negation.
161
00:10:18,113 --> 00:10:19,399
In ihrem Stil selbst
162
00:10:19,547 --> 00:10:22,385
ist die Darlegung der dialektischen Theorie
163
00:10:22,526 --> 00:10:26,224
nach den Regeln der herrschenden Sprache
164
00:10:26,397 --> 00:10:28,980
und für den von ihnen anerzogenen Geschmack ein Ärgernis und ein
Greuel,
165
00:10:29,188 --> 00:10:32,300
weil sie in der positiven Verwendung der bestehenden Begriffe
166
00:10:32,496 --> 00:10:34,722
zugleich auch das Verständnis
[film: - Welcher Gang
- Von Intellektuellen !]
167
00:10:34,847 --> 00:10:36,994
ihrer wiedergefundenen fließenden Bewegung,
168
00:10:37,146 --> 00:10:39,790
ihren notwendigen Untergang einschließt.
169
00:10:40,342 --> 00:10:42,978
Dieser Stil, der seine eigene Kritik enthält,
170
00:10:43,154 --> 00:10:46,238
muss die Herrschaft der gegenwärtigen Kritik
171
00:10:46,334 --> 00:10:48,075
über ihre ganze Vergangenheit ausdrücken.
172
00:10:48,267 --> 00:10:51,606
Durch ihn bezeugt die Darlegungsweise der dialektischen Theorie
173
00:10:51,702 --> 00:10:54,786
den negativen Geist, der in ihr steckt.
174
00:10:54,994 --> 00:10:59,948
Die Wahrheit ist nicht »so, wie das Werkzeug von dem dortigen
Gefäße wegbleibt [...]« (Hegel)
175
00:11:00,082 --> 00:11:02,399
Dieses theoretische Bewusstsein der Bewegung,
176
00:11:02,526 --> 00:11:06,476
in dem die Spur der Bewegung selbst gegenwärtig sein muss,
177
00:11:06,640 --> 00:11:09,621
äußert sich durch die Umkehrung der etablierten
178
00:11:09,731 --> 00:11:11,647
Beziehungen zwischen den Begriffen
179
00:11:11,804 --> 00:11:16,603
und durch die Entwendung aller Errungenschaften der früheren Kritik.
180
00:11:17,472 --> 00:11:19,342
Die Ideen verbessern sich.
[film: Wir sind verloren !]
181
00:11:19,470 --> 00:11:21,750
Die Bedeutung der Worte trägt dazu bei.
182
00:11:21,906 --> 00:11:23,824
Das Plagiat ist notwendig.
183
00:11:23,976 --> 00:11:25,669
Der Fortschritt impliziert es.
184
00:11:25,837 --> 00:11:28,313
Es hält sich dicht an den Satz eines Verfassers,
185
00:11:28,425 --> 00:11:30,263
bedient sich seiner Ausdrücke,
186
00:11:30,407 --> 00:11:32,020
beseitigt eine falsche Idee,
[film: Zurück !]
187
00:11:32,132 --> 00:11:34,624
ersetzt sie durch die richtige.
188
00:11:36,662 --> 00:11:39,250
Die Entwendung ist die flüssige Sprache
[film: Halt !]
189
00:11:39,378 --> 00:11:41,296
der Antiideologie.
[film: Feiglinge! Ihr habt ...]
190
00:11:41,591 --> 00:11:43,381
Sie erscheint in der Kommunikation,
[film: ... eure Genossen verlassen!]
191
00:11:43,597 --> 00:11:45,940
die weiß, dass sie nicht beanspruchen kann,
[film: Folgt mir !]
192
00:11:46,081 --> 00:11:49,421
irgendeine Garantie in sich selbst und endgültig zu besitzen.
weiter im n0name newsletter #138
------------------------------------------------------------------------
2.
verteidigt das Portal der Fantasie
(Fortsetzung aus im n0name newsletter #136)
schlossen blieben. [11] Polen hatte - mit der Filmschule in Lodz als
Zentrum - schon in den 1970ern eine eigene Schule von Videokuenst-
lern hervorgebracht. [12] Unter der Diktatur Jaruzelskis emigrierten
einige ihrer Protagonisten, wie Zbigniew Rybczynski, in den Westen
und bereicherten dort die Szene des experimentellen Films ebenso wie
die kommerzielle Welt des Rock-Videos. Andere, wie Josef Robakowski,
entschieden sich dafuer, unter politisch und technisch schwierigen
Be-dingungen in Polen weiterzumachen. Die Biennale in Wroclaw
hat sich in den 1990ern zur wichtigen Drehscheibe fuer
Ost-West-Beziehungen in der kuenstlerischen Welt der elektronischen
Medien entwickelt. Das Festival _WRO 2000_ fand in jenem Gebaeude der
alten Universitaet statt, das in seinem Turm eine der ersten
astronomischen Beobachtungssta-tionen Europas beherbergte. Die
Medienaktivisten der russischen, Pol-nischen, tschechischen oder
ungarischen Szene beginnen die wert-vollsten Bestandteile ihrer
Museen und Archive an das fortgeschrittene technische und mediale
Wissen des Westens anzukoppeln oder lassen es sich erneut
eigenstaendig entfalten.
Ende der 1960er fanden nahezu parallel zwei Ausstellungen statt,
die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, auf je besondere Art die
Wech-selverhaeltnisse zwischen Wissenschaft, Technologie, Kunst und
Me-dien zu thematisieren. Der schwedische Kurator Pontus Hulten
organi-sierte am New Yorker _Museum of Modern Art_ "The Machine".
Das war ein Rueckblick auf die Avantgarden der zurueckliegenden
Jahrzehnte des Zeitalters der Mechanik. In einem minimalen Appendix
wurden aber auch Kuenstler und Ingenieure eingeladen, gemeinsame
Experimente mit elektronischen Instrumenten und dem Computer
vorzustellen. In dem kiloschweren Katalog mit metallenem Einband
drohen die ausge-stellten elektronischen Projekte am Ende in
blaeulicher Schrift auf wei-szem Grund zu verschwinden. [13] Aber
es war ein Anfang, zusammen mit Jasia Reichardts unscheinbarerer
Ausstellung im Londoner _Insti-tute of Contemporary Arts_, die
ebenfalls 1968 stattfand" Ihr Titel ent-raetselt sich fuer die
An-Archaeologie als ein hoechst willkommenes Ge-schenk. Die
Ausstellung hiesz "Cybernetic Serendipity". Serendip ist eine fruehere
Bezeichnung fuer Ceylon. Serendipity bezeichnet im Eng-lischen das
Glueck, durch Zufall wertvolle Dinge zu finden oder zu erfin-
308
den. Der Begriff soll durch den Schriftsteller Horace Walpole gepraegt
worden sein, in dessen Maerchen "The three Princes of Serendip" die
Helden staendig Dinge entdecken und erfinden, nach denen sie nie-
mand gefragt hat. [15]
Diese beiden Ausstellungen und ihre Buecher sind Legende, die meis-
ten der Pioniere rudimentaerer digitaler Graphik oder computergesteu-
erter Installationen bereits vergessen. Das ambitionierteste Ereignis
dieser Art fand indessen nur knapp drei Jahre spaeter in der Zagreber
_ga-Ierije grada_ statt. Unter dem Titel "dijalog sa strojem" (Dialog
mit der Maschine) trafen sich hier zum ersten Mal Kuenstlerinnen und
Kuenst-ler, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus west- und
osteuro-paeischen Laendern, den USA und Japan, um ihre verschiedenen
Zu-gaenge zu programmierter Kunst zu diskutieren. Unter vielen anderen
stellte der Wiener Marc Adrian ein Programm vor, das er zusammen
mit Gottfried Schlemmer und dem Programmierer Horst Wegschnei-
der entwickelt hatte. Durch einen 162-11-Computer von IBM wurden
Textfragmente aus populaeren Zeitschriften nach einem Zufallsprinzip
syntaktisch neu geordnet. Die von der Maschine nach den Regeln des
Programms montierten Texte wurden dramatisch, durch Schauspieler
(a, b und c), rezitiert. "c: duerfen sich kreuzpunkte nicht
verlieben? himmel beschwatzen koerperfrisch telefonleitungen. das
muessen sie auch haben! aber wer sagt denn seinem kind wirklich, was
das ist: himmel? peinlichkeiten liquidieren muede baeuche oder doch
nicht? / a: trinken sie peinlichkeiten! frauen finden unabhaengige
geschmaecker. die martinis kennen keine langeweile. / b: duerfen sich
frauen nicht ver-lieben? zungen schneiden knospig kreuzpunkte. was
geschah mit dem schoensten titelbildmaedchen der sowjetzone? " [16]
Im Norden Italiens streiten der Medientheoretiker und -aktivist
Tommaso Tozzi sowie das Netzwerk-Duo 0100101101101.org fuer eine
staerkere Integration der avancierten Technologien in die politische
und akademische Kultur. In Venedig baut Fabrizio Plessi seit
Jahrzehnten schoene barocke Videoskulpturen. Im Hinblick auf
den Sueden ist eine erneute Verschiebung der Geographie
indessen noch schwer vorstell-bar. Das liegt an gravierenden
oekonomischen Problemen und man-gelnden technischen
Infrastrukturen. Es hat aber auch damit zu tun,
310
dass die juengsten innovatorischen Schuebe im Sektor der Medientech-
nologien Resultate von sozialen und kulturellen Prozessen sind, die
den suedeuropaeischen Gesellschaften eher fremd sind. Die Arbeit und
das Spiel an den individuellen Endstationen der Monitore und Daten-
netze finden in Vereinzellung statt, und sie sind im Wesentlichen
immer noch von geschlossenen Architekturen abhaengig, die an die
globalen Netze angeschlossen sind. Der imaginaere Aufenthalt im
w/w/w besitzt fuer Angehoerige einer Alltagskultur, die sich
traditionell stark ueber die Oeffentlichkeit der Straszen und Plaetze
und die orale Kommunikation definiert, noch wenig Attraktivitaet.
Lediglich das _handy_, mit dem man die am meisten geschaetzten Formen
des Austauschs mit den Anderen technisch erweitert praktizieren kann,
bildet hier eine Ausnahme. In Suedamerika stellt sich diese
Situation wiederum betraechtlich anders dar. Insbesondere in
denjenigen Laendern, deren tele-kommunikative Systeme ueber laengere
Perioden fuer die Nutzer diktatorisch einge-schraenkt waren, wie in
Argentinien oder Brasilien, ist die Praesenz des _Internets_ bereits
weit in den urbanen Alltag hinein vorgedrungen. In den besser
gestellten Stadtgebieten von Buenos Aires oder Sao Paulo findet man
regelrechte Supermaerkte fuer den Zugang zum w/w/w. Das sind
Verkaufsstationen fuer Zeit. #Der Besitzer stellt die Infrastruktur
und die Terminals zur Verfuegung, ueber die der Kunde sich an das
globale Datennetz anschlieszen lassen kann. Dieser bezahlt wie beim
Eintritt in die Phantasiemaschine Kino.#
Das einstige Zentrum der magischen Naturforscher und Erfinder
phantastischer Medienwelten, Neapel, spielt in der aktuellen Medien-
geographie keine Rolle. Das, was in den Datennetzen als Simulation
angestrebt wird, das so wenig wie moeglich geordnete und
restringierte Neben- und Ineinander mannigfaltiger Identitaeten, ist
hier Realitaet des Alltags, mit allen seinen Inkompatibilitaeten,
Desastern und Genuss versprechenden Ueberraschungen. So behaelt
die Stadt Portas den Sta-tus, den sie schon fuer viele fruehere
Generationen von Intellektuellen hatte. Sie ist Ort der
Sehnsucht, vor allem fuer diejenigen, die aus dem satten und wohl
geordneten Norden stammen. In Herbert Achtern-buschs Film "Das
Andechser Gefuehl" (1974) ist der vom Regisseur ge-spielte
Gymnasiallehrer gerade vom Freistaat Bayern zum Beamten auf
311
Lebenszeit ernannt worden. Das stuerzt ihn in tiefe Depression und
Ver-zweiflung. Anstatt zum gemeinsamen familiaeren Mittagessen kommt
es in der Kueche zu einem heftigen Streit mit seiner Ehefrau, in den
auch die Geliebte des Lehrers verwickelt wird. Von der Gattin mit
einem riesi-gen Fleischmesser attackiert, sinkt er auf den gekachelten
Kuechenbo-den nieder und haucht, vor den Fueszen seiner Geliebten,
mit den Wor-ten sein Leben aus: "Neapel sehen und sterben". Der
ebenfalls praesente Priester, gespielt von dem Filmregisseur und
heutigen Direktor der Ber-liner Film- und Fernsehakademie Reinhard
Hauff, wurde zuvor in den Garten vertrieben.
--------------------------------------------------------------
| #Die wichtigste Voraussetzung fuer die Gewaehr von relativ |
| machtfreien Raeumen in den Medienwelten besteht darin, |
| auf den Anspruch der Besetzung ihres Zentrums zu ver- |
| zichten.# |
--------------------------------------------------------------
In der Tiefenzeit der Medien lassen sich zwei Modelle beobachten, die
den Spannungen entsprechen, die Georges Bataille in den 1930ern un-
ter dem Eindruck des Faschismus und des Stalinismus mit seinem Vor-
schlag zur "Aufhebung der Oekonomie" aufmachte. #Einer dem Para-
digma der Produktivitaet verpflichteten Oekonomie der Zurichtung, die
zunaechst im Projekt des industriellen Kinos und Fernsehens und vor-
laeufig im post-industriellen [17] Phaenomen des _Internets_
muendete, steht eine Oekonomie der Freundschaft gegenueber. Die erste
dient der Effekti-vierung von Systemen, ihrem Schutz oder auch dem
Angriff gegen an-dere konkurrierende Systeme. Die zweite verhaelt
sich gegenueber der ersten subversiv und ist luxurioes. Sie bedarf
keiner Legitimation, wie das Vergnuegen und die Kunst keine solche
benoetigen. Sie entfaltet sich, oder es gibt sie nicht. Sie existiert
in und neben der hegemonialen Oeko-nomie.# Selbst in denjenigen
Medienwelten, die sich in empfindlicher Naehe zur Macht
entwickelten, der Telekommunikation und der Krypto-graphie als ihr
Spezialfall, war diese andere Oekonomie mit groszem Er-
findungsreichtum praesent. Von der "Polygraphia" des Trithemius ueber
die Vorschlaege zur Fernverstaendigung Portas bis hin zum "Ortsfor-
312
scher" Kessiers und der elektrischen Fernschreibmaschine Bozzolis wa-
ren die Konzepte bis ins konzeptuelle Detail hinein von der Sorge um
den Freund motiviert, der sich an einem nicht zugaenglichen Ort auf-
halten musste.
In der ersten Haelfte der 1990er erlebte das _Internet_ eine kurze
eu-phorische Phase. Jeder, der Zugang zu einem Computer und einem
Telefonanschluss hatte, konnte weitgehend unzensiert Botschaften
verschicken und empfangen. #Auf die neuen medialen Netze wurden
politische und kuenstlerische Utopien des freien Austauschs jenseits
von Markt- und Machtstrukturen projiziert.# Die junge Szene der
internatio-nalen Netzwerker akzeptierte die alten Grenzen der
konkurrierenden Systeme von vornherein nicht. Im Gegenteil,
Verbindungen zu den zu-naechst wenigen frei zugaenglichen und an die
internationalen Datenlei-tungen angeschlossenen Computer in Osteuropa
herzustellen, hatte fuer ihre Aktivitaeten hoechste Prioritaet. Das
war Bestaetigung und zu-gleich Test der demokratischen Potenziale,
die man in den nun massen-haft zugaenglich gemachten telematischen
Netzwerken vermutete. Fuer die Bewohner der groszen Staedte in
denjenigen Laendern, in denen die politischen und oekonomischen
Umwandlungen sich unter den Zeichen des globalen Marktes relativ
friedlich vollzogen, wurden sie die schnells-
ten Anschluesse an die Marktplaetze des Westens. Fuer diejenigen, die,
beispielsweise im Kosovo oder in Albanien, unter Krieg und Verfolgung
zu leiden hatten, waren es die einzigen Verbindungen, die der Zensur
nicht ohne weiteres zugaenglich waren. 1996 begann das _Syndicate Net-
work_ als "ein translokales Netzwerk, das auf persoenlichen Beziehungen
beruht und auf einer gesunden Mischung aus Uneinigkeit, Respekt und
Solidaritaet, die jede gute Freundschaft charakterisiert . . . Das
#Syndicate# hat seine Wurzeln in den taktischen Medienverbilnden, die
Individuen und Gruppen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs und
unter ihm hindurch miteinander verbanden, jenseits massenmedialer
Aufmerk-samkeit." [18] Auch diese Verhaeltnisse etablierten sich.
Einer der Hoehe-punkte in den bisherigen Aktivitaeten des
_Syndicates_ war der "Deep Europe Workshop", der 1997 innerhalb der
Internet-Plattform der _docu-menta X_ in Kassel stattfand. 15 der
Syndikalisten aus verschiedenen Laendern West- und Osteuropas
diskutierten hier unter den Augen der
313
Weltoeffentlichkeit ihre Vorstellungen eines durch Netzwerke der wech-
selseitigen Achtung verbundenen Mitteleuropas.
Auch die Subszene der vernetzten Medienwelten, fuer die Syndicate
nur ein Beispiel von vielen ist, [19] transformiert sich zu Beginn des
neuen Jahrzehnts. Die Etablierung des World Wide Web als globaler au-
diovisueller Dienstleistungsbetrieb, der alles zu kommerzialisieren
ver-steht, was auf ein massenhaftes Nutzerinteresse stoeszt,
inklusive von Datendienstleistungen am Rande der Illegalitaet, hat
die Identitaet eines hochintelligenten Lumpenproletariats fragwuerdig
werden lassen.
Gleichwohl haben die engagierten Initiativen dazu beigetragen, die Op-
tion auf eine nicht hierarchisierte Oeffentlichkeit heterogener
Bezie-hungen auch im Hinblick auf die technisch avancierten
Medienwelten offen zu halten. Es ist kein Scheitern, dass sie nicht
zum zentralen Mo-dell der so genannten Informationsgesellschaft
wurde. #Die Oekonomie der Freundschaft besitzt keine
Verallgemeinerungsfaehigkeit. Sie entfal-tet sich in und quer zu den
etablierten Beziehungen und ist in der Regel nicht von Dauer. Sie
muss immer wieder neu eingerichtet werden.#
--------------------------------------------------------------
| Das Problem, eingreifende Medienwelten sich vorstellen, |
| sie analysieren und schoepferisch entwickeln zu koennen, |
| besteht weniger darin, einen passenden Rahmen dafuer zu |
| definieren, als darin, sie sich mit und in der Zeit entwi- |
| ckeln zu lassen. |
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------------------------------------
Received 10. 05. 2009 15:23 from
0-) n0name nachrichten #136
... .+++++CCCMMMMMMMMMMMMMMMMCCC+++
CMMMMMMMCCCCC+++++++..........+++++CCMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM
CMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM
CMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM
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CMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCMMC
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CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC+
CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC+
CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC+
CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC+
CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC+
++CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC+++++++++..................++++++
........++++++++++++++++++++++++++++....................................
........................................................................
........................................................................
........................................................................
........................................................................
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.............................................. .....
..........................
DEUTSCHE MEDIENkulturtheorei
|<------ Breite: 72 Zeichen - Fixed Width Font: Courier New, 10 ------>|
0-) n0name nachrichten #136 So., 10.05.2009 12:20 CET
*Inhalt/Contents*
1. verteidigt das Portal der Fantasie
aus: _3000/futuristische Phantasmen und aktuelle Fantasien
der Technokultur 3.2_ (Fortsetzung aus nn #136)
2. 2010 - Das Jahr, in dem wir die Krise bekommen
Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot_ 40 voraussichtlich
im n0name newsletter #142
24 KB, ca. 7 DIN A4-Seiten
------------------------------------------------------------------------
1.
verteidigt das Portal der Fantasie
(Fortsetzung aus im n0name newsletter #135)
Als Fokus des Aufeinandertreffens gegensaetzlicher Konzepte fuer
schoep-ferische Taetigkeiten mit und in den computerzentrierten
Medien haben sich die Handhabung wie die Gestaltung von _Interfaces_
herausgestellt. Jene Grenze zwischen Mediennutzern und
Medienapparaten, die im Deutschen treffender Schnittstelle heiszt,
trennt und verbindet zugleich zwei unterschiedliche Welten:
einerseits diejenige der an den Maschi-nen Taetigen, andererseits
diejenige der aktiven Maschinen und Pro-gramme. Die technologische
Entwicklung wie auch die dominanten Medienkonzepte der 1990er liefen
darauf hinaus, die Grenze zwischen beiden unmerklich zu machen. Man
sollte einen Computer benutzen lernen, ohne zu merken, dass man es
mit einer algorithmisch aufge-bauten Maschine fuer Kalkulationen und
Simulationen zu tun hat. Man sollte in eine so genannte virtuelle
Realitaet von Bildern und Toenen ein-tauchen koennen, ohne zu spueren
und noch mehr: ohne zu wissen, dass man es mit einer praezise
vorstrukturierten, berechneten Konstruktion von Oberflaechen und
Zeitverlaeufen zu tun hat. Die Computer wur-den fuer ihre Benutzer
wie eine _camera obscura_ inszeniert, an deren Ef-fekten man sich
erfreuen und mit der man arbeiten kann, zu deren Funktionsweise man
aber keinen Zugang mehr benoetigt. Gegen eine reibungslose
technologische und semiologische Ergonomie experimen-tierten einige
Kuenstler im Verbund mit Programmierern, Physikern und Ingenieuren
daran, auch mit den fortgeschrittenen Technologien Dramaturgien der
Differenz weiterhin zu ermoeglichen und zu entfal-ten. In Nachfolge
der klassischen Film- und Videoavantgarden insis-tierten sie darauf,
dass die Computerwelten als kuenstlich gebaute zugaenglich bleiben.
Die Schnittstellen zu ihnen in Spannung zu den Welten auszerhalb der
Maschinen zu konstruieren, sollte den Genuss dieser Medienwelten
erhoehen und nicht vermindern.
297
Unter "eingreifendem Denken" verstand #Brecht# eine Alternative
zum optionalen Denken, das die wahre Welt als Warenwelt permanent
einfordert. Sein #"Kleines Organon zum Theater"# von 1948 ist ein
theo-retisches und praktisches Plaedoyer fuer eine operationale
Dramaturgie, eine dramatische Kunst, die nicht nur zur Illusionierung
und Reini-gung einlaedt, sondern beim Genuss das Denken nicht
aussetzen laesst, Sinne und Verstand nicht als Gegner betrachtet,
sondern als miteinan-der ringende Kraefte eines aufregenden
Gesellschaftsspiels, das wir Kunst nennen koennen. Ein
vergleichbares _Organon_ zur Schnittstelle gibt es noch nicht. [9]
Wohl aber entwickeln sich kraftvolle kuenstlerische Praxen einer
Dramaturgie der Differenz, innerhalb und auszerhalb der Datennetze.
Markanterweise sind es gerade Gruppen wie das fuenfkoep-fige
nordamerikanische _Critical Art Ensemble_ oder das deutsch-oesterrei-
chische Terzett _Knowbotic Research_, die an solchen Konzepten seit
etwa zehn Jahren kontinuierlich arbeiten. Ihre Projekte sind
konsequent zwischen den Disziplinen kuenstlerische Theorie und Praxis
angesie-delt; die #Kritik vereinheitlichender Technologiepolitik# ist
wichtiger Be-standteil.
Perry Hoberman aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn gehoert zu
den wenigen Einzelakteuren zeitgenoessischer Produktion von Kunst
mit und durch Medien, denen die Gratwanderungen zwischen techni-
scher Faszination und eingreifendem Denken auszerhalb der Netze ge-
lingen. Seine Installation "Cathartic user interface" (1995) bedient
oberflaechlich den Bedarf nach raschen Entladungen von Frustratio-
nen und Aggressionen im Umgang mit den aeuszeren Schnittstellen der
Heimcomputer und ihrer Produzenten. Wie in anderen Arbeiten zu-
vor [10] greift er auch hier auf eine rudimentaere Erfahrung aus der
All-tagskultur zurueck, in diesem Fall das Ballwerfen auf gestapelte
Blech-dosen, wie es die Besucher seiner Installation von den
Jahrmaerkten kennen. Treffer werden dabei gewoehnlich mit _gadgets_
als Belohnung gratifiziert. Beim "kathartischen Nutzerinterface"
sind die Konserven durch Computertastaturen ersetzt. Trifft man
eine der aktiven Tasten, wird man nicht durch ein Artefakt
belohnt, das aus einer Welt auszer-halb des Spiels stammt. Die
Gratifikationen, die als technische Bilder auf die mit den
_keyboards_ bestueckte Projektionswand geworfen wer-
298
den, stammen aus der Welt der Maschinen und Programme selbst. Es
sind ironische Benutzeranweisungen oder #Fehlermeldungen, satiri-
sche Verschiebungen#der graphischen Benutzeroberflaechen, Gesichter
der Agenten der PC-Industrie. Durch die koerperliche Aktion des
hefti-gen Werfens auf die Objekte der Angst und des Widerwillens wird
kurz-zeitig ein befreiendes Gefuehl hervorgerufen. Aber die erhoffte
Katharsis tritt nicht ein. Die Gratifikationsofferte ist eine aus der
Welt der Ma-schinen und Programme, die durch die physische Aktion nur
in ihrer visuellen Erscheinung attackiert werden kann. Ein Kurzschluss
im ky-bernetischen System: Der programmierten und standardisierten
Welt ist nicht durch den Maschinensturm beizukommen. Der war schon im
vorletzten Jahrhundert nicht erfolgreich. In diese Welt ist nur
wirksam einzugreifen, indem man ihre Handlungsgesetze lernt und sie
zu ueber-laufen oder zu unterlaufen versucht. Man muss die Position
des Teil-nehmers eines Jahrmarktspektakels verlassen und zu einem
Operateur innerhalb der technischen Welt werden, der an ihrer
Andersartigkeit mitarbeiten kann. Fuer die kuenstlerische Praxis mit
Computern bedeu-tet das insbesondere, die Codes zu lernen, mit denen
sie funktionieren. Gastev hat allerdings fuer die Techno-Avantgarde
der 1920er schon de-monstriert, dass diese Position nicht unbedingt
identisch sein muss mit derjenigen der Programmierer selbst.
Dass es sich bei dem "cathartic user interface" um eine Installation
handelt, in der mehrere Besucher zugleich taetig werden koennen, ist
ein wichtiger Bestandteil des Konzepts, das in den meisten Arbeiten
Hober-mans zum Tragen kommt. Die aktive Anwesenheit verschiedener
Per-sonen, die in einem zwielichtigen Handlungsraum miteinander
korres-pondieren, fuehrt zu Interaktionen zwischen den Besuchern, wie
sie im dunklen Kubus Kino so nicht moeglich sind. Auch dies ist als
ein _expan-ded cinema_ der besonderen Art begreifbar
-------------------------------------------------------------
| Wirksame Verbindungen zu den #Peripherien# herzustellen, |
| ohne sie in die Zentren integrieren zu wollen, kann dabei |
| helfen, die Medienwelten offen und veraenderlich zu hal- |
| ten. |
-------------------------------------------------------------
299
Die modernen audiovisuellen Massenmedien etablierten sich zuerst in
den industriellen Zentren. Als Innovationen wurden Kino und Fernse-
hen in Berlin, London, New York und Paris durchgesetzt, Wir haben
uns daran gewoehnt, Mediengeschichte aus der Perspektive solcher Me-
tropolen zu denken, zu schreiben und dargestellt zu bekommen. Diese
Sichtweise fuehrt in eine Sackgasse, nicht zuletzt deshalb, weil die
de-zentralisierten und vernetzten Mediensysteme die industriellen und
fi-nanziellen Metropolen nicht mehr in der Weise benoetigen, wie es
bei den Massenmedien der Fall war. Der Einstieg Japans in den
westlichen Markt hat schon erhebliche Verschiebungen bewirkt. Mit
ihrer Kon-zentration auf mobile und elektronische Medienartefakte
begannen ja-panische Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg, die
geographi-schen Verhaeltnisse in medienoekonomischer Hinsicht
betraechtlich zu veraendern. Diese Tendenz verstaerkt sich weiter.
#Seoul oder Singapur haben gerade erst damit angefangen, in die
hegemonialen Verhaeltnisse aus der fernoestlichen Peripherie
einzugreifen.# Viele der aktuellen Soft-wareloesungen werden zwar
noch ueber nordamerikanische Korporatio-nen lukrativ vermarktet, aber
nicht mehr primaer dort entwickelt. Die Auto- und Schwerindustrie,
mit der Europas Westen oekonomisch stark geworden ist, eignet sich
nicht als Modell fuer die Herstellung extrem fluechtiger Produkte
als Dienstleistungen. Die Medienwelten der Tele-matik sind so
ubiquitaer, wie ihre Konstrukteure prinzipiell mobil und nomadisch
geworden sind.
Die Suchbewegung durch die Tiefenzeit des technischen Hoerens und
Sehens, zu dem sich im Verlauf der Untersuchung das technische Kom-
binieren als weiterer Fokus hinzugesellt hat, engagiert sich fuer
eine dop-pelte #Verschiebung der geographischen Aufmerksamkeit:
vom Norden zum Sueden und vom Westen zum Osten.# Mit dem Markt haben
diese Verlagerungen zunaechst nichts zu tun. Zugespitzt formuliert
stammen die philosophischen und praktischen Grundlegungen fuer den
Bau der modernen Medienwelten aus dem Fernen Osten, vor allem aus
den frue-hen Hochkulturen Chinas, sowie aus den Regionen um
das Mittelmeer, aus Kleinasien, Griechenland, den arabischen
Laendern und ihren Vor-posten im suedlichen und suedwestlichen
Europa. Am Beispiel der Ent-wicklung von Konzepten und
Artefakten zur Optik haben wir die Bewe-
302
gung in groben Zuegen verfolgen koennen. Von den in etwa parallelen
Anfaengen in China, den griechischen Inseln und Sizilien ueber die
Reak-tivierung und Erweiterung dieses Wissens durch arabische
Forscher um die erste Jahrtausendwende verschoben sich die
Aktivitaeten und ihre Verdichtungen allmaehlich nach Norden. Die
sueditalienische Me-tropole Neapel wirkte in der fruehen Neuzeit als
ein Durchlauferhitzer fuer die diversen Versuche der magischen
Aneignung der Dinge und der Kenntnisse ueber sie. Im Norden und im
Nordosten traten verstaerkt die toskanischen Staedte und vor der
Wende zum 17. Jahrhundert das Prag Rudolfs II. als Drehscheiben
astronomischen, mathematischen und technischen Wissens auf den Plan,
mit Verbindungen zu London, Ox-ford, Cambridge, Paris, aber auch dem
polnischen Kraków. Mit dem Netzwerk des jesuitischen Ordens als
intellektueller Avantgarde und dem Vatikan als Ordnungszentrale
avancierte im 17. Jahrhundert Rom zu der Metropole, in der das von
der katholischen Kirche akzeptierte Wissen um die neuen Medienwelten
gesammelt, ausgewertet und welt-weit wieder verteilt wurde. Den
Sueden degradierte der Vatikan mehr und mehr zur Peripherie. In
weltanschaulicher Konkurrenz zu Rom profilierten sich Paris mit
seinen katholischen Minimalisten und fruehen rationalistischen
Aufklaerern, die klassischen Universitaetsstaedte Eng-lands, London
und die Hochburgen des liberalen Geistes in den Nie-derlanden. Die
Ketzer flohen vor den Verfolgungen der Inquisition und hinterlieszen
an den Orten, in denen sie voruebergehend aufgenom-men wurden, ihre
Spuren. Insofern markiert das "Electricorum" des roemischen
Rhetorikprofessors Mazzolari einen fulminanten Hoehe-punkt, zugleich
aber auch schon das vorlaeufige Ende dieser geographi-schen Ordnung.
In der lateinischen Hymne auf die Elektrizitaet von 1767 wurde alles
Wissen ueber diese neue Welt, die fuer die Medien so ent-
scheidend werden sollte, noch einmal gesammelt und in einer elektri-
schen Fernschreibmaschine technisch vergegenstaendlicht. Aber die
zeitgemaeszen Protagonisten des Poems stammten bereits aus ganz an-
deren Orten: aus Dubrovnik, aus Philadelphia oder aus dem hollaendi-
schen Leiden.
Mit Ritter, Chudy und Purkyne geriet zur 18. Jahrhundertwende
eine Region verstaerkt in die Aufmerksamkeit, die bis dahin vor allem
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Beachtung gefunden hatte, wenn aus ihr hervorragende Forscher und
Lehrer, die es sich leisten konnten, in die Universitaetsstaedte
Nordita-liens, nach Rom oder Paris zum Studium oder zum Unterricht
zogen: das heutige Polen, Ungarn, Tschechien, mit ihren extrem
wechselvol-len Geschichten von Fremdherrschaften verschiedenster Art.
Ihre Na-turwissenschaftler und Ingenieure wanderten nun zum Studium
und zur Lehre teilweise noch in die akademischen Hochburgen
Oesterreichs, aber vor allem in die Universitaetsstaedte im
thueringischen und saechsi-schen Osten Deutschlands, nach Dresden,
Halle, Jena oder Leipzig. Die brutalen Einschnitte des Kriegs und der
Nachkriegsgeschichte haben dazu beigetragen, dass die Verbindungen zu
den oestlichen Orten und Archiven des Wissens und Modellierens fuer
Jahrzehnte abgebrochen waren. Wie dem zum Trotz entwickelt sich seit
Mitte der 1990er an der Grenze zwischen dem deutschen Westen und Osten
die Medienfakultaet der Bauhaus-Universitaet Weimar zu einem der
avanciertesten Lehr-und Forschungsinstitute.
Tiefer greifend noch waren die Brueche gegenueber der einstigen rus-
sischen Wissenschafts-, Technik- und Kunstmetropole St. Petersburg.
Die Trennungen wirkten hier ueber acht Jahrzehnte in doppelter
Weise, zum einen als harsche politische und ideologische Abwendung
von al-lem Westlichen, zum anderen als Verschiebung innerhalb
Russlands. Moskau wurde zur Zentrale der politischen Macht und damit
auch zum Fokus nationaler wie internationaler Aufmerksamkeit. Seit
zehn Jah-ren existiert mit dem "Theremin Center" am Staatlichen
Moskauer Konservatorium wieder ein Laboratorium fuer die Erforschung
und Er-probung neuer kuenstlerisch-medialer Formen. Es wurde benannt
nach dem Erfinder eines der ersten elektronischen Musikinstrumente,
das gaenzlich ohne Beruehrung und nur ueber die Beeinflussung
elektro-ma-gnetischer Wellen durch die Finger- oder Handstellungen
des Spielers funktioniert. Lenin liesz sich das Instrument 1922 im
Kreml erstmals vorfuehren. Erfunden hat es der Physiker und Musiker
Lev Sergeivich Termen allerdings 1920 in St. Petersburg, waehrend
seiner Zeit als Leiter des Labors am dortigen physikalisch-technischen
Institut. Durch Brian Wilsons legendaere Komposition "Good
Vibrations" fuer die Beach Boys sind seine seltsam heulenden
Klaenge in die Geschichte der Popmusik
305
eingegangen. Unter dem Projekttitel "Forgotten future" hat Andrej
Smirnov, der Leiter des "Theremin Centers", damit begonnen, die Kraft
der alten Erfindungen wieder in das aktuelle Spiel mit den
technischen Illusionen einzubringen. Herausragende Kuenstlerinnen wie
Anna Ku-leichov verbinden die aesthetischen Ideen der russischen
Kinetiker, Kubofuturisten und Suprematisten mit aktueller
elektronischer Kon-zept- und Performancekunst.
Nicht nur aus dem neuen Moskauer Laboratorium heraus veraendert
sich die vertraut gewordene Geographie allmaehlich wieder. Die junge
Kunstszene St. Petersburgs begann schon in den Jahren der
Perestrojka damit, intellektuelle Verbindungen zu den
Hinterlassenschaften der Techno-Avantgarde der 1920er herzustellen.
In einem riesigen Hinter-hofgebaeude in der Pushkinskaja-Strasze
residiert nicht nur die provo-kante "neoakademische" Schule Timur
Novikovs, sondern arbeitet auch das "Techno-Art Center", das von
Alla Mitrofanova und Irena Ak-tuganova geleitet wird und in dessen
"Galerie 21" unter schwierigsten infrastrukturellen Bedingungen
medienkuenstlerische Projekte reali-siert und die Debatten um sie
gepflegt werden. Die "Intermedia"-Abtei-lung an der Budapester
Akademie der Kuenste nahm ihre Arbeit bereits im Herbst 1990 auf,
vor Beginn der meisten akademischen Initiativen im Westen, und hat
mittlerweile, zusammen mit dem ihr verbundenen "Center for
Communication and Culture", einen internationalen Ruf fuer die
Entwicklung auszergewoehnlicher Medienprojekte erlangt. Mi-kloes
Peternaek, der Direktor beider Institute, konzentriert sich in
seiner Arbeit unermuedlich darauf, die Anschluesse der neuen
Medienwelten an die Reichtuemer der ungarischen Technik- und
Kulturgeschichte wieder herzustellen. "Die Zukunft ausgraben"
hiesz 2001 ein Symposium in Prag, das Jan Evangelista Purkyne und
seinen Entdeckungen fuer das technische Visionieren gewidmet war.
Jan Svankmajer sorgt mit seinen virtuosen Animations- und Spielfilmen
seit Jahrzehnten dafuer, dass die Verbindungen avancierter
Medienwelten zur Tiefenzeit der Prager Al-chemisten, Magier und
Manieristen kraftvoll vorstellbar blieben. "Alice" (1987), ((Faust>)
(1994) oder "The Conspirators of Pleasure" (1996) sind nur drei der
juengeren filmischen Meisterwerke aus der _mun-dus animatus_ des
Prager Surrealisten, fuer die deutsche Kinos leider ver-
307
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2.
2010 - Das Jahr, in dem wir die Krise bekommen
Der Titel ist phrasenhaft, aber die Eckdaten sind passend: 1967, zur
Zeit der schon doch ja grossen Krise des Kapitals in der BRD wurde
_2001 - Odyssee im Weltraum_ gedreht, 1999 war das Jahr, in dem der
Boom der IT-Branche (damals "Neue Oekonomie" genannt und von der
Lovink-Schule im Umfeld des "Toywars" als "Tulipomania" gegeiszelt)
von 1995 bis 2000 den meisten suspekt wurde, jedenfalls genaehrt von
apokalyptischen Jahrtausendwende-Fantasien, 2001 wurde angeblich die
Welt am Ort der damals noch erfolgreichsten/erhitztesten Boerse (New
York) im September neu geordnet, 2010 sollte die europaeische Agenda
zum Abschluss gekommen sein und die EU das staerkste Land der Welt.
Interessant ist, dass die Ost-West-Teilung der Welt, 1984, im Jahr des
ersten Wuerfels "Macintosh", noch ganz klar einer Friedensbotschaft
bedurfte, waehrend also die atomare Bedrohung gross war und Apple
wenigstens im Video gegen den Ueberwachungsstaat von Microsoft stand.
Allerdings sah Arthur C. Clarke's Buch diese nicht vor, und die
Konkurrenz der Nationen ist noch laut dem Text auf der Videohuelle
von _2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen_ von damals eine
zwischen China und der Kooperation (!) der UdSSR mit den USA. Und
auch Hans-Werner Sinn vom deutschen Ifo Institut fuer
Wirtschaftsforschung weisz: "Wir werden fruehestens im Winter 2010 da
sein, wo die USA im letzten Herbst waren [...]." Das bedeutet, dass
das amerikanische Raumschiff noch etwas schneller ist, als unseres.
Und wirklich, wo _2001_ alles versagte, nicht sagte, aber verbilderte,
also anders sagte (?) und mystisch, religioes die rationalen Codes
austrieb, oder das Versagen des Rationalen, repraesentiert von HAL,
zumindest auf rationalistische Double-binds zurueckfuehrte (HAL
konnte berechnend seinen Befehlen nicht zugleich gehorchen und nicht
gehorchen und zerstoerte dann eine Variable durch Toeten), da wo die
Krise der Kommunikation und des Sprechens im reellen Jahr nach dem
Zusammenbruch des New Economy ins Jenseits der siegreichen Konsumwelt
fuehrte, naemlich zu den Sternen, klaert _2010_ plappernd in den
Requisiten von 1967, also im Jahr, in dem die EU die Krise oder die
Krise die EU erreicht hat, gnadenlos auf.
Wenn man nun die im Buergertum herrschende Angst vor der Apokalypse,
wie Linke auf den Bahamas vielleicht formulieren wuerden, nimmt und
auf der Suche nach den sich selbst deutenden Zeichen, des immer in
der Krise befindlichen Kapitalismus sucht, und alles fein vermengt,
haben wir in _2010_ dem Film und 2010 dem Jahr etwas vorliegen, was
die Remix-Kopie von 2001 dem Jahr, dem angeblichen Beginn des
ersten (?) Krieges im 21. Jahrhundert und _2001_ dem Film sein
koennte. Gibt es selbstentlarvende Artefakte? Ich erinnere mich an
den Film _Creature_ (ebenfalls 1984) mit Klaus Kinski, einem
_Alien_-Verschnitt mit leichten Solaris Anleihen, in dem relativ
fesche Raumanzuege wie in _2001_ getragen werden, "Nazi"-Kinski aber
einen proportional viel zu grossen Helm traegt und das Budget fuer
einen naturalistischen Ausserirdischen=Kapitalisten nicht mehr
gereicht hat. Im Film (_2010_), wo alle Antworten im Computer
liegen und der lustige Held sie nur noch aus ihm herausholen muss,
der Computer der Tempel und die Maschine des Rationalen der Mission
Aufklaerung, den keine Schuld trifft und der nach 2001 (Film und
Realitaet) endlich rehabilitiert wird, kann ja schlieszlich doch
immer und zugleich nie das eintreffen, was mit der CeBIT und dem
neuen Breitband 2008 den Massen versprochen wurde, 2 Mio.
Arbeitsplaetze und jedem ein DSL 1000 (max. Download: 1024 kbit/s,
max. Upload: 128 kbit/s).
Das Versagen ist das Versprechen. Die Botschaft kommt von oben, sie
lautet Klassenbruderschaft -- in _2010_ retten sich die sowjetischen
Kosmonauten mit den US-amerikanischen Astronauten vor dem schwarzen
Loch, welches der Galaxis eine neue zweite Sonne gebiert. Wo Kubrick
Naturwissenschaft an kosmische Grenzen bringt und Wissen mit
dem grossen Unerklaerlichen konfrontiert, Wissen also
unueberschreitbare Grenzen hat (Physik endet wo Gott anfaengt),
da wird der rehablitierte Rechner in knapp zwei Jahren die
unhinterschreitbare filmische Grenze des jetzigen Wissens sein
medialisiert-organisiert in einer Maschine, die im Gegensatz zum
Film aber nicht geopfert werden kann, um den Tod nah zu erfahren.
Die Konkurrenz der Nationen wurde dargestellt als verrueckte
Bedrohung (verrueckter Computer, verrueckte Russen) mit der
Heilsbotschaft einer geeinten Menschheit. 2010 - Das Jahr, in dem
uns die Krise bekommen, wird das eher banal korrigieren, ohne
"Lux Aeterna" (Ewiges Licht), sprich ohne Gott. Der Tod Gottes und
der Uebermensch sind dann Thema des Links-Nietzscheanischen Seminars.
Ali Emas
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