Received 18. 08. 2008 -- 19:58 from
fromBetrifft: form versus inhalt
Hallo Stefan,
zu a) „In der Praxis kann das anders aussehen" – ja, das erlebe ich
öfter SO. Die Produzenten sehen oft mehr Inhalt, die Konsumenten eher
die Form bei ein und derselben Arbeit. (Oder besser: die Konsumenten
füllen die sichtbare Form mit IHREM Inhalt.) Das finde ich aber recht
logisch, dass es so ist. Liegt quasi in der Natur der Sache, weil
Kunst sehr persönlich sowohl geschaffen als auch gesehen wird.
zu b) sicher.
Aber weiter: die „Form Buch" ist Dir erst mal doch nicht dadurch
versperrt, dass Du keinen Verlag hast... Du könntest trotzdem eine
„Form Buch" wählen. Nur denkst Du vermutlich weiter und sagst ‚aber
was nützt es, wenn es nicht verlegt wird' – aber das ist erst der
nächste Schritt. Natürlich weiß ich, wie's gemeint ist, aber es ist
eine Überlegung, die mit der Form an sich erst mal nichts zu tun hat...
zu c) „medium is the message" – die Rezipienten, die der Form einen hohen
Stellenwert geben, sind das eine. Da würde mir eine einfache
schlüssige Begründung helfen. Wenn z. B. ein Künstler sagt ‚Ich habe
mir absolut nichts dabei gedacht!' und der Rezipient erlebt einen
ästhetischen Genuss wie noch nie zuvor in seinem Leben und bezahlt
dafür wie für noch nichts zuvor in seinem Leben, dann ist das für mich
absolut o.k. .
Künstler, die der Form einen hohen Stellenwert geben, aber das nicht
künstlerisch (oder so schnöde und entwaffnend wie oben geschrieben)
begründen (könn[t]en), sind mir ein bisschen suspekt. Zwar finde ich
es auch nicht klasse, wenn jemand so toll quatschen kann, dass er mir
etwas schlüssig verkauft, um sich hinterher ins Fäustchen zu lachen,
wie blöd ich eigentlich gewesen sei... aber auszuschließen ist sowas
ja nie. Ich hoffe da eigentlich immer auf die Chemie zwischen Werk,
Erschaffer und Abnehmer, dass alles schon so o.k. ist, wie es ist.
Das mit Inhalt und Form war eingangs von mir so gemeint: Kunst ist
ganz allgemein gesprochen für mich Sprache, Dialogaufnahme mit eigenen
Mitteln. Wenn es nun in der Kunst immer nur um „höher", „weiter",
„spektakulärer" und „anders" geht, man alte Formen quasi nicht mehr
„benutzen" darf, weil sie nicht mehr up to date sind, dann ist das für
mich ein bisschen so, als wenn jemand sagt ‚och, weißt du, Italienisch
ist mittlerweile out; es ist klischeehaft, es zu benutzen' – weißt Du,
wie ich es meine? Das ist für mich DER KONFLIKT schlechthin.
zu d) „Anderseits aber die Balance zur Lesbarkeit halten." Ja, finde ich
natürlich wichtig, aber „ernsthafte" kreative Arbeit „mit Inhalt"
braucht sich darum, glaube ich, eigentlich nicht so viele Gedanken
machen, denn ich wette, es wird in den allermeisten Fällen gegeben
sein... trotzdem verweise ich noch mal auf a) ;-) .
„Finnegans Wake" hat, ohne es bisher zu kennen, mit Sicherheit für
mich jede Berechtigung, auf der Welt zu sein wie jedes andere,
eingängigere Werk. Jedes Ding hat in der Kunst sein Gegenüber, da bin
ich sicher, nur: ob die beiden sich treffen, ist ungewiss... – aber
das ist auch erst der nächste Punkt, den der Erschaffer beim
Erschaffen meines Erachtens nicht mitzudenken braucht... zumindest
nicht auf dem alternativen Kunstmarkt ;-) .
--- In thing-frankfurt [at] yahoogroups [dot] de hat Stefan Beck
geschrieben:
>
> Hallo Sabine,
>
> ich will mir nicht anmassen, substantielles über das problem von form
> und inhalt sagen zu können.
>
> Aber für mich stellt es sich etwa so dar:
>
> a) Bezogen auf Form und Inhalt stehen sich die Produzenten und
> Konsumenten theoretisch gleichwertig gegenüber. In der Praxis kann das
> anders aussehen.
>
> b) Wenn ich in meiner eigenen Arbeit von inhaltlichen Fragestellungen
> ausgehe, dann müssen sie auch immer in eine Form gebracht werden.
>
> Hier können Probleme entstehen. Wenn ich einen Text schreibe, dann ist
> mir die Form Buch versperrt, weil ich keinen Zugang zu Verlagen habe.
>
> Schon vor langer Zeit bin ich daher ins Internet ausgewichen. Schreiben
> im Netz ist aber eine andere Form, - aus vielerlei Gründen. Einer zB
ist
> die Schwierigkeit der User längere Text am Bildschirm zu lesen.
>
> Auch komplizierte Satzformen scheiden aus. Intelligente Verkürzung ist
> das Gebot.
>
> c) Aus derlei Beschränkung erhält die Form ihren eigenen
> Mitteilungscharakter. Das berühmte "medium is the message".
>
> Wenn die Form einen Tauschwert annimmt, dann kann genau das passieren,
> was Du als "Kunstmarkt-Denken" beschreibst. Ein Phänomen, das überall
> auftauchen kann.
>
> Statt eigenen Geschmack zu entwickeln, richten sich die Leser oder
Hörer
> an Bestsellerlisten aus, usw......
>
>
> d) Als Künstler (mit Anspruch) stehe ich damit vor dem Problem, wie ich
> einerseits Form und Inhalt so aufeinander beziehe, verwebe, dass ihr
> Ergebnis sich nicht auf den blossen Tauschwert reduzieren lässt.
>
> Anderseits aber die Balance zur Lesbarkeit halte.
>
> Eco folgend liesse sich das am Beispiel vom Ulysses so zeigen:
>
> eine Allerweltsgeschichte (ein Tag in Dublin) wird in eine komplizierte
> Form gepackt (innerer Monolog etc), diese wiederum von einem Metatext
> (18 Episoden der Odyssee, 18 Stunden eines Tages...) überlagert, der
die
> Einheit des Textes, die Lesbarkeit ermöglicht.
>
> In Finnegans Wake fehlt dieser Metatext, und die Sprache hat sich
> zusätzlich verkompliziert. Das Ergebnis: Tauschwert nahe null.
>
> Handlungsoption: Finnegans Wake trotzdem lesen.
>
>
> > Lieber Stefan, hallo allen anderen,
> >
> > ich habe eben eine Antwort versucht, und merkte, dass ich mich von
> > dem, das ich schon in meinem vorigen Beitrag gut vermittelt glaubte,
> > nur immer weiter entferne. Es tut mir leid, dass der so unverständlich
> > rüberkam. Ich bastele an einer besser verständlichen Antwort; die von
> > eben wurde sogar länger als mein letzter Beitrag :-/ .
> >
> > "Beispiele von Kunstwerken, in denen der Inhalt über die Form
> > dominiert", kann ich nicht geben, weil ich es nicht aus
> > Rezipienten-Sicht gemeint hatte, sondern aus der Sicht der Erschaffer.
> > Das meinte ich mit
> >
> > "Das ist für mich aber Kunstmarkt-Denken, in dem es um "höher",
> > "weiter", "spektakulärer", "provokanter" oder einfach "neuer" geht, um
> > erst einmal überhaupt aufzufallen und in der Folge evtl. die
> > Kunstgeschichte mit weiter zu entwickeln. Das könnte man für
> > "Forschung" halten, in jedem Falle aber für Entwicklung, wenn es nicht
> > so gesteuert wäre durch allzu Menschliches wie Politik, Geld und
Rang."
> >
> > Das kann ich nicht so ernst nehmen, wie es "der Markt" gerne hätte. Es
> > hat für mich nichts vom Eigentlichen mehr. Es gibt keine Kunstwerke
> > "alleine aus sich". Bei meinen Arbeiten liegt ein Inhalt zugrunde,
> > ohne den ich die jeweilige Arbeit gar nicht beginnen würde. Das sieht
> > aber der Betrachter nicht, und darum geht es auch nicht. ---
> >
> > Fragen würden mir helfen, mich auszudrücken und auch kurz zu fassen,
> > aber das würde vielleicht ein zu großes Interesse an meinem Denken
> > voraussetzen, und ich sage ohne Koketterie, dass das
> > selbstverständlich nicht sein muss ;-) . Ohne konkrete Fragen rede ich
> > oft zu abstrakt.
> >
> >> "Ja, das siehst Du ganz richtig.
> >>
> >> Ganz pauschal möchte ich mal behaupten, dass das eben moderne Kunst
> >> ausmacht, dass sie die Form über den Inhalt stellt.
> >>
> >> Präziser..."
> >
> > Das macht nicht "Kunst" aus, sondern "die Kunst" dieses Betriebes, der
> > Steuerung um sie herum. "Kunst" ist in ihrem Ursprung viel freier.
> >
> > Und schon wieder lang........... ich kann es nicht besser sagen; mein
> > letzter Beitrag traf es für meine Begriffe auch besser als jetzt
> > dieser; der hier verbessert nix.........
> >
> > ich habe aber eine Frage: wie funktioniert die Kunstbetrachtung
> > Deines, Eures Erachtens eigentlich für Nicht-Fachleute? Vielleicht
> > komme ich über die Antwort (darf ruhig ausschweifen!) auf diese Frage
> > selbst zu einer kurzen und knackigen Antwort.
> >
> > Einen schönen Sonntag,
> >
> > Sabine
> >
>
>
>
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