Received 19. 08. 2008 -- 16:19 from
fromRe: Betrifft: form versus inhalt
Hallo Sabine,
ich denke, wir sollten hier zwei Dinge nicht vermischen.
Einerseits, die Vorstellung wie ästhetische Kommunikation idealerweise
vonstatten gehen sollte. Wie es sich Produzent und Konsument jeweils
denken. Dies nennt Eco die "Poetik".
Dann aber, wie sie in der Praxis zufällig vonstatten geht.
Ein besonders drastisches Beispiel ist das von Michail Bachtin. Der
Legende nach war er während der deutschen Belagerung von Leningrad
gezwungen sein Manuskript über deutsche Literatur Seite für Seite in
Zigarettenpapier zu zerreissen und damit zu zerstören.
Proust las gerne Fahrpläne, obwohl ihm Reisen verhasst war. Ihn
inspierierte der Klang der Stationen.
Dagegen ist nichts zu machen, den Künstler sollte daher nur die Poetik
interessieren.
Dein Beispiel über die mögliche Klischeehaftigkeit des Italienischen ist
nicht so weit hergeholt, wie es klingen mag.
Es gibt doch genug Leute, die in der dümmsten Pizzaria ständig "grazie",
"prego" oder "espressi" sagen müssen.
Alle Formen und Inhalte nützen sich ständig ab. Das liegt daran, dass
wir sie kommunizieren.
Kommunizieren bedeutet einen Überraschungseffekt zu erzielen, und sei er
auch noch so klein.
Wenn der nicht auftritt, dann ist die Botschaft - wie die Fachleute
sagen - redundant.
> Hallo Stefan,
>
> zu a) „In der Praxis kann das anders aussehen" – ja, das erlebe ich
> öfter SO. Die Produzenten sehen oft mehr Inhalt, die Konsumenten eher
> die Form bei ein und derselben Arbeit. (Oder besser: die Konsumenten
> füllen die sichtbare Form mit IHREM Inhalt.) Das finde ich aber recht
> logisch, dass es so ist. Liegt quasi in der Natur der Sache, weil
> Kunst sehr persönlich sowohl geschaffen als auch gesehen wird.
>
> zu b) sicher.
>
> Aber weiter: die „Form Buch" ist Dir erst mal doch nicht dadurch
> versperrt, dass Du keinen Verlag hast... Du könntest trotzdem eine
> „Form Buch" wählen. Nur denkst Du vermutlich weiter und sagst ‚aber
> was nützt es, wenn es nicht verlegt wird' – aber das ist erst der
> nächste Schritt. Natürlich weiß ich, wie's gemeint ist, aber es ist
> eine Überlegung, die mit der Form an sich erst mal nichts zu tun hat...
>
> zu c) „medium is the message" – die Rezipienten, die der Form einen hohen
> Stellenwert geben, sind das eine. Da würde mir eine einfache
> schlüssige Begründung helfen. Wenn z. B. ein Künstler sagt ‚Ich habe
> mir absolut nichts dabei gedacht!' und der Rezipient erlebt einen
> ästhetischen Genuss wie noch nie zuvor in seinem Leben und bezahlt
> dafür wie für noch nichts zuvor in seinem Leben, dann ist das für mich
> absolut o.k. .
>
> Künstler, die der Form einen hohen Stellenwert geben, aber das nicht
> künstlerisch (oder so schnöde und entwaffnend wie oben geschrieben)
> begründen (könn[t]en), sind mir ein bisschen suspekt. Zwar finde ich
> es auch nicht klasse, wenn jemand so toll quatschen kann, dass er mir
> etwas schlüssig verkauft, um sich hinterher ins Fäustchen zu lachen,
> wie blöd ich eigentlich gewesen sei... aber auszuschließen ist sowas
> ja nie. Ich hoffe da eigentlich immer auf die Chemie zwischen Werk,
> Erschaffer und Abnehmer, dass alles schon so o.k. ist, wie es ist.
>
> Das mit Inhalt und Form war eingangs von mir so gemeint: Kunst ist
> ganz allgemein gesprochen für mich Sprache, Dialogaufnahme mit eigenen
> Mitteln. Wenn es nun in der Kunst immer nur um „höher", „weiter",
> „spektakulärer" und „anders" geht, man alte Formen quasi nicht mehr
> „benutzen" darf, weil sie nicht mehr up to date sind, dann ist das für
> mich ein bisschen so, als wenn jemand sagt ‚och, weißt du, Italienisch
> ist mittlerweile out; es ist klischeehaft, es zu benutzen' – weißt Du,
> wie ich es meine? Das ist für mich DER KONFLIKT schlechthin.
>
> zu d) „Anderseits aber die Balance zur Lesbarkeit halten." Ja, finde ich
> natürlich wichtig, aber „ernsthafte" kreative Arbeit „mit Inhalt"
> braucht sich darum, glaube ich, eigentlich nicht so viele Gedanken
> machen, denn ich wette, es wird in den allermeisten Fällen gegeben
> sein... trotzdem verweise ich noch mal auf a) ;-) .
>
> „Finnegans Wake" hat, ohne es bisher zu kennen, mit Sicherheit für
> mich jede Berechtigung, auf der Welt zu sein wie jedes andere,
> eingängigere Werk. Jedes Ding hat in der Kunst sein Gegenüber, da bin
> ich sicher, nur: ob die beiden sich treffen, ist ungewiss... – aber
> das ist auch erst der nächste Punkt, den der Erschaffer beim
> Erschaffen meines Erachtens nicht mitzudenken braucht... zumindest
> nicht auf dem alternativen Kunstmarkt ;-) .
>
>
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