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0-) n0name nachrichten #138

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0-) n0name nachrichten #138 Mi., 20.05.2009 10:05 CET

*Inhalt/Contents*

1. Debord - La Société du spectacle.srt als .txt 2
2. verteidigt das Portal der Fantasie
aus: _3000/futuristische Phantasmen und aktuelle Fantasien
der Technokultur 3.2_ (Fortsetzung aus nn #137)

38 KB, ca. 3 DIN A4-Seiten

------------------------------------------------------------------------

1.

Debord - La Société du spectacle.srt als .txt 2

Im letzten Noname Newsletter sind in dieser Textversion zwei
Kopieren+Einfuegen-Fehler unterlaufen, bei 113 und 114, sowie 149. Es
muesste dort lauten:

113
00:07:41,574 --> 00:07:43,140
Das Spektakel ist somit

114
00:07:43,260 --> 00:07:47,109
eine spezialisierte Tätigkeit, die für die Gesamtheit der anderen
Tätigkeiten spricht.

und

149
00:09:39,429 --> 00:09:45,803
wenn er den bisherigen Rhytmus beibehielte; das tut er aber
nicht.


Der korrigierte n0name newsletter #137 ist hier:
http://www.n0name.de/news/news137.txt

Die gesamte SRT-Datei zum Herunterladen hier:
http://n0name.de/news/attachm/Debord - La Société du spectacle.srt
[Dateiname vom Entwender/Uebersetzer so uebernommen]

Hyperlinks
http://theoriepraxislokal.org

http://www.si-revue.de/situationistische-internationale

Weiter gehts es...


193
00:11:49,820 --> 00:11:51,977
Sie ist, im höchsten Grad,

194
00:11:52,088 --> 00:11:55,192
die Sprache, die kein früherer und überkritischer

195
00:11:55,365 --> 00:11:57,057
Bezugspunkt bestätigen kann.

196
00:11:57,368 --> 00:11:59,949
Im Gegenteil, ist es ihr eigener Zusammenhang,

197
00:12:00,132 --> 00:12:02,608
in sich selbst und mit den praktischen Tatsachen,

198
00:12:02,752 --> 00:12:05,232
der den früheren Wahrheitskern bestätigen kann,

199
00:12:05,326 --> 00:12:06,787
den er wiederbringt.

200
00:12:06,986 --> 00:12:10,003
Die Entwendung hat ihre Sache auf nichts gestellt,

201
00:12:10,282 --> 00:12:14,134
was außerhalb ihrer eigenen Wahrheit als gegenwärtiger Kritik liegt.

202
00:12:15,900 --> 00:12:18,544
Was sich in der theoretischen Formulierung

203
00:12:18,704 --> 00:12:21,357
offen als entwendet darstellt,

204
00:12:21,604 --> 00:12:24,624
indem es jede dauerhafte Autonomie der Sphäre

205
00:12:24,736 --> 00:12:26,238
des ausgedrückten Theoretischen widerlegt,

206
00:12:26,342 --> 00:12:29,586
dadurch dass es in sie durch diese Gewalt die Tat intervenieren lässt,

207
00:12:29,690 --> 00:12:33,560
die jede bestehende Ordnung stört und beseitigt,

208
00:12:33,828 --> 00:12:36,145
weist darauf hin, dass dieses Dasein des Theoretischen

209
00:12:36,320 --> 00:12:38,062
für sich genommen nichts ist,

210
00:12:38,158 --> 00:12:39,596
dass es sich erst kennen lernen muss

211
00:12:39,732 --> 00:12:41,442
mit der geschichtlichen Tat

212
00:12:41,634 --> 00:12:45,000
und mit der geschichtlichen Korrektur, welche seine echte Treue ist.

213
00:12:45,314 --> 00:12:47,500
Was das Spektakel der Wirklichkeit genommen hat,

214
00:12:47,561 --> 00:12:50,000
muss ihm selbst wieder genommen werden. ...

215
00:12:50,150 --> 00:12:52,433
Expropriiert die spektakulären Expropriateure!

216
00:12:52,500 --> 00:12:55,129
Die Welt ist bisher immer nur gefilmt worden.

217
00:12:55,622 --> 00:12:59,129
Es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.

218
00:12:59,358 --> 00:13:02,102
Es geht darum,

219
00:13:02,275 --> 00:13:05,278
die Gemeinsamkeit des Dialogs und das Spiel mit der Zeit,

220
00:13:05,422 --> 00:13:09,659
die von dem poetisch-künstlerischen Werk vorgestellt wurden,
tatsächlich zu besitzen.

221
00:13:11,189 --> 00:13:13,398
Wenn die unabhängig gewordene Kunst

222
00:13:13,490 --> 00:13:16,718
ihre Welt in leuchtenden Farben malt,

223
00:13:16,870 --> 00:13:19,043
ist ein Moment des Lebens alt geworden,

224
00:13:19,242 --> 00:13:23,368
und mit leuchtenden Farben lässt er sich nicht wieder verjüngen,

225
00:13:23,572 --> 00:13:26,896
sondern nur in der Erinnerung wachrufen.

226
00:13:27,111 --> 00:13:29,429
Die Größe der Kunst beginnt erst

227
00:13:29,557 --> 00:13:31,913
mit der einbrechenden Dämmerung des Lebens zu erscheinen.

228
00:13:44,139 --> 00:13:46,404
Macht´s Spass, Mr. Logan?

229
00:13:46,708 --> 00:13:48,370
Ich konnte nicht schlafen.

230
00:13:48,673 --> 00:13:50,287
Und das Zeug hilft dir etwas?

231
00:13:51,933 --> 00:13:53,930
So vergeht die Nacht schneller.

232
00:13:55,815 --> 00:13:57,676
Was hält dich denn wach?

233
00:13:58,627 --> 00:14:00,002
Träume.

234
00:14:01,927 --> 00:14:03,812
Böse Träume.

235
00:14:06,680 --> 00:14:08,709
Ja, die hatt´ich auch manchmal.

236
00:14:16,624 --> 00:14:18,653
Hier, das wird sie vertreiben.

237
00:14:18,924 --> 00:14:21,886
Das hab ich versucht. Hat aber nicht viel geholfen.

238
00:14:30,605 --> 00:14:32,584
Wieviel Männer hast du vergessen?

239
00:14:40,745 --> 00:14:43,445
Genau soviel, wie du Frauen nicht vergessen hast.

240
00:14:44,827 --> 00:14:48,983
Nachdem die unmittelbare Kunstschöpfung

241
00:14:49,207 --> 00:14:54,092
der Theorie als solcher den Platz abgetreten hatte,

242
00:14:54,391 --> 00:14:59,125
verliert nun auch diese an Bedeutung

243
00:14:59,301 --> 00:15:04,044
zugunsten einer post-theoretischen Praxis der Synthesis,

244
00:15:04,342 --> 00:15:08,980
die die Begründung der Wahrheit

245
00:15:09,053 --> 00:15:14,360
sowohl von Philosophie als von Kunst

246
00:15:14,411 --> 00:15:17,959
erst einmal schaffen soll.

247
00:15:24,964 --> 00:15:28,191
Das Denken der gesellschaftlichen Organisation des Scheins

248
00:15:28,359 --> 00:15:29,877
wird seinerseits verdunkelt

249
00:15:30,021 --> 00:15:33,872
durch die verallgemeinerte Hilfs-Kommunikation, die es verteidigt.

250
00:15:34,201 --> 00:15:37,003
Die Spezialisten der Macht des Spektakels,

251
00:15:37,235 --> 00:15:40,023
einer Macht die absolut ist im Inneren seines Systems

252
00:15:40,215 --> 00:15:41,781
einer Sprache ohne Antwort,

253
00:15:41,933 --> 00:15:43,802
sind absolut korrumpiert

254
00:15:43,898 --> 00:15:45,757
durch ihre Erfahrung der Verachtung

255
00:15:45,926 --> 00:15:48,020
und des Erfolges der Verachtung;

256
00:15:48,195 --> 00:15:50,560
denn sie finden ihre Verachtung bestätigt

257
00:15:50,679 --> 00:15:53,257
durch die Kenntnis des verachtungswerten Menschen,

258
00:15:53,401 --> 00:15:55,778
der der Zuschauer wirklich ist

259
00:16:01,667 --> 00:16:04,527
An dieser wesentlichen Bewegung des Spektakels,

260
00:16:04,719 --> 00:16:06,732
die darin besteht, alles in sich aufzunehmen,

261
00:16:06,844 --> 00:16:09,697
was in der menschlichen Tätigkeit

262
00:16:09,824 --> 00:16:11,133
in flüssigem Zustand war,

263
00:16:11,222 --> 00:16:15,444
um es in geronnenem Zustand zu besitzen,

264
00:16:15,624 --> 00:16:18,302
als Dinge, die zum ausschließlichen Wert geworden sind,

265
00:16:18,413 --> 00:16:21,685
durch die negative Umformulierung des erlebten Wertes

266
00:16:21,951 --> 00:16:24,523
— erkennen wir unsere alte Feindin wieder,

267
00:16:24,715 --> 00:16:27,612
die so leicht auf den ersten Blick erscheint,

268
00:16:27,772 --> 00:16:30,627
als ein selbstverständliches, triviales Ding,

269
00:16:30,954 --> 00:16:34,046
während sie doch im Gegenteil ein sehr vertracktes Ding ist,

270
00:16:34,221 --> 00:16:38,210
voll metaphysischer Spitzfindigkeit:
die Ware.

271
00:16:38,210 --> 00:16:39,610
die Ware.

272
00:16:42,730 --> 00:16:45,774
Es ist das Prinzip des Warenfetischismus,

273
00:16:46,029 --> 00:16:48,520
die Beherrschung der Gesellschaft durch

274
00:16:48,625 --> 00:16:51,560
»sinnlich übersinnliche Dinge«,

275
00:16:51,736 --> 00:16:54,576
das sich absolut im Spektakel vollendet,

276
00:16:54,697 --> 00:16:57,335
in welchem die sinnliche Welt ersetzt wird

277
00:16:57,495 --> 00:17:00,553
von einer Auswahl über ihr schwebender Bilder,

278
00:17:00,741 --> 00:17:03,323
und das sich zugleich zu erkennen gibt

279
00:17:03,482 --> 00:17:05,908
als das Sinnliche schlechthin.

280
00:17:07,527 --> 00:17:10,179
Die zugleich anwesende und abwesende Welt,

281
00:17:10,315 --> 00:17:12,215
die das Spektakel sichtbar macht,

282
00:17:12,384 --> 00:17:14,206
ist die Welt der Ware,

283
00:17:14,326 --> 00:17:16,738
die alles Erlebte beherrscht.

284
00:17:16,994 --> 00:17:21,005
Und die Welt der Ware wird so gezeigt wie sie ist,

285
00:17:21,100 --> 00:17:23,177
denn ihre Bewegung ist identisch

286
00:17:23,385 --> 00:17:25,188
mit der Entfernung der Menschen

287
00:17:25,363 --> 00:17:28,665
voneinander und gegenüber ihrem Gesamtprodukt.

288
00:17:29,528 --> 00:17:31,445
Die Ware hat ihre Herrschaft

289
00:17:31,708 --> 00:17:35,181
zunächst nur verborgen über die Ökonomie ausgeübt,

290
00:17:35,287 --> 00:17:36,358
die selbst,

291
00:17:36,469 --> 00:17:39,122
als materielle Grundlage des gesellschaftlichen Lebens,

292
00:17:39,257 --> 00:17:41,989
unbeachtet und unbegriffen blieb,

293
00:17:42,165 --> 00:17:45,319
so wie überhaupt das Bekannte, weil es bekannt ist, nicht erkannt ist.

294
00:17:45,728 --> 00:17:48,129
In einer Gesellschaft, in der die konkrete Ware

295
00:17:48,257 --> 00:17:50,730
selten oder in der Minderheit bleibt,

296
00:17:50,906 --> 00:17:54,466
präsentiert sich die augenscheinliche Herrschaft des Geldes

297
00:17:54,593 --> 00:17:56,945
als die mit unumschränkter Vollmacht versehene Gesandte,

298
00:17:57,065 --> 00:17:59,622
die im Namen einer unbekannten Macht spricht.

299
00:17:59,933 --> 00:18:02,088
Mit der industriellen Revolution,

300
00:18:02,257 --> 00:18:04,478
der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit

301
00:18:04,605 --> 00:18:07,481
und der massenhaften Produktion für den Weltmarkt

302
00:18:07,673 --> 00:18:10,118
erscheint die Ware effektiv

303
00:18:10,261 --> 00:18:14,128
als eine Macht, die das gesellschaftliche Leben wirklich in Beschlag
nimmt.

304
00:18:14,407 --> 00:18:17,411
Zu dieser Zeit bildet sich die politische Ökonomie heraus

305
00:18:17,531 --> 00:18:21,403
als herrschende Wissenschaft und als Wissenschaft der Herrschaft.

306
00:18:25,249 --> 00:18:28,471
Das Spektakel ist ein permanenter Opiumkrieg,

307
00:18:28,694 --> 00:18:32,566
für die Gleichsetzung von Gütern mit Waren

308
00:18:32,854 --> 00:18:34,347
und von Zufriedenheit

309
00:18:34,484 --> 00:18:37,839
mit einem sich nach seinen eigenen Gesetzen vermehrenden Ãœberleben.

310
00:18:38,023 --> 00:18:41,337
Wenn aber das konsumierbare Ãœberleben etwas ist,

311
00:18:41,560 --> 00:18:42,821
das sich ständig vermehren muss,

312
00:18:42,964 --> 00:18:46,419
so deshalb, weil es die Entbehrung immer noch enthält.

313
00:18:46,579 --> 00:18:49,750
Wenn es kein Jenseits des vermehrten Ãœberlebens gibt,

314
00:18:49,949 --> 00:18:53,378
keinen Punkt, an dem es sein Wachstum beenden könnte,

315
00:18:53,576 --> 00:18:57,204
so deshalb, weil es selbst nicht jenseits der Entbehrung liegt,

316
00:18:57,411 --> 00:19:00,895
sondern die reicher gewordene Entbehrung ist.

317
00:19:03,156 --> 00:19:07,541
Der Tauschwert konnte sich zwar nur als Agent des Gebrauchswerts
bilden,

318
00:19:07,657 --> 00:19:10,115
aber sein durch seine eigenen Waffen errungener Sieg

319
00:19:10,210 --> 00:19:13,489
hat die Bedingungen seiner autonomen Herrschaft geschaffen.

320
00:19:13,648 --> 00:19:15,326
Durch die Mobilisierung jedes menschlichen Gebrauchs

321
00:19:15,518 --> 00:19:18,394
und die Ergreifung des Monopols der Befriedigung

322
00:19:18,546 --> 00:19:21,132
kommt der Tauschwert endlich dazu, den Gebrauch zu lenken.

323
00:19:21,302 --> 00:19:22,852
Der Tauschvorgang

324
00:19:22,996 --> 00:19:25,351
ist mit jedem möglichen Gebrauch identisch geworden,

325
00:19:25,488 --> 00:19:27,691
und hat ihn von seiner Gnade abhängig gemacht.

326
00:19:27,892 --> 00:19:31,743
Der Tauschwert ist der Söldnergeneral des Gebrauchswertes,

327
00:19:31,918 --> 00:19:35,319
der endlich den Krieg für seine eigene Tasche führt.

328
00:19:37,055 --> 00:19:41,515
Der Gebrauchswert, der im Tauschwert mit einbegriffen war,

329
00:19:41,697 --> 00:19:44,860
muss jetzt explizit verkündet werden

330
00:19:45,044 --> 00:19:47,640
in der verkehrten Realität des Spektakels,

331
00:19:47,784 --> 00:19:51,310
gerade weil seine tatsächliche Wirklichkeit zersetzt wird

332
00:19:51,496 --> 00:19:54,566
von der überentwickelten Waren-Ökonomie

333
00:19:54,710 --> 00:20:00,217
und weil eine Pseudo-Rechtfertigung des falschen Lebens nötig wird.

334
00:20:09,608 --> 00:20:12,679
Das konzentrierte Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeit

335
00:20:12,797 --> 00:20:16,741
tritt im Moment des ökonomischen Überflusses offen in Erscheinung

336
00:20:16,929 --> 00:20:19,605
und unterwirft jede Wirklichkeit dem Schein,

337
00:20:19,908 --> 00:20:22,190
der von nun an sein Produkt ist.

338
00:20:23,756 --> 00:20:26,530
Das Kapital ist nicht mehr das unsichtbare Zentrum,

339
00:20:26,673 --> 00:20:28,835
das die Produktionsweise lenkt:

340
00:20:29,110 --> 00:20:32,209
seine Akkumulation breitet es bis zur Peripherie aus

341
00:20:32,393 --> 00:20:34,582
in der Form sinnlicher Gegenstände.

342
00:20:34,708 --> 00:20:38,600
Die ganze Ausdehnung der Gesellschaft ist sein Porträt.

343
00:20:44,100 --> 00:20:46,714
Das Spektakel, wie die moderne Gesellschaft,

344
00:20:46,856 --> 00:20:49,186
ist zugleich einheitlich und geteilt.

345
00:20:49,501 --> 00:20:53,238
Wie sie gründet es seine Einheit auf die Zerrissenheit.

346
00:20:53,469 --> 00:20:54,967
Aber sobald dieser Widerspruch

347
00:20:55,060 --> 00:20:57,013
im Spektakel zum Vorschein kommt,

348
00:20:57,107 --> 00:20:58,776
wird er seinerseits in Widerspruch gesetzt

349
00:20:58,886 --> 00:21:01,185
durch eine Umkehrung seines Sinnes;

350
00:21:01,405 --> 00:21:04,539
so dass die gezeigte Teilung einheitlich,

351
00:21:04,704 --> 00:21:08,145
während die gezeigte Einheit geteilt ist.

352
00:21:11,830 --> 00:21:14,999
Der Kampf von Gewalten, die entstanden sind,

353
00:21:15,109 --> 00:21:17,892
zur Verwaltung desselben sozialökonomischen Systems,

354
00:21:18,041 --> 00:21:21,207
entfaltet sich als der offizielle Widerspruch,

355
00:21:21,388 --> 00:21:24,254
der in Wirklichkeit zur tatsächlichen Einheit gehört;

356
00:21:24,396 --> 00:21:26,116
das gilt ebenso

357
00:21:26,258 --> 00:21:29,085
im Weltmaßstabe wie innerhalb jeder Nation.

358
00:21:33,155 --> 00:21:35,325
Die falschen, spektakulären Kämpfe

359
00:21:35,467 --> 00:21:37,648
rivalisierender Formen der getrennten Macht

360
00:21:37,838 --> 00:21:39,517
sind zugleich wirklich,

361
00:21:39,666 --> 00:21:42,926
indem sie die ungleiche, konfliktgeladene

362
00:21:43,013 --> 00:21:44,603
Entwicklung des Systems,

363
00:21:44,753 --> 00:21:48,319
die relativ einander widersprechenden Interessen der Klassen,

364
00:21:48,477 --> 00:21:51,800
oder ihrer das System anerkennenden Untergruppen zum Ausdruck bringen

365
00:21:51,981 --> 00:21:56,088
und indem sie ihre eigene Teilhabe an seiner Macht bestimmen.

366
00:21:57,327 --> 00:22:00,246
Diese verschiedenen Oppositionen können sich

367
00:22:00,356 --> 00:22:02,838
im Spektakel nach ganz unterschiedlichen Kriterien,

368
00:22:02,987 --> 00:22:06,405
als absolut verschiedenartige Gesellschaftsformen präsentieren.

369
00:22:06,727 --> 00:22:11,093
Aber ihrer Wirklichkeit als besonderen Bereichen gemäß,

370
00:22:11,239 --> 00:22:13,447
liegt die Wahrheit ihrer Besonderheit

371
00:22:13,573 --> 00:22:16,889
im allgemeinen System, das sie umschließt:

372
00:22:17,089 --> 00:22:18,632
in der einzigen Bewegung, die

373
00:22:18,773 --> 00:22:22,602
den Planeten zu ihrem Gebiet gemacht hat: im Kapitalismus.

374
00:22:23,615 --> 00:22:26,110
Die Bewegung der Banalisierung,

375
00:22:26,269 --> 00:22:29,407
die unter den schillernden Ablenkungen des Spektakels

376
00:22:29,560 --> 00:22:32,185
die moderne Gesellschaft weltweit beherrscht,

377
00:22:32,339 --> 00:22:34,500
beherrscht sie auch an jedem der Punkte,

378
00:22:34,626 --> 00:22:37,260
an dem der entwickelte Warenkonsum

379
00:22:37,401 --> 00:22:42,310
die zur Auswahl stehenden Rollen und Gegenstände scheinbar
vervielfacht hat.

380
00:22:42,653 --> 00:22:45,389
Das Überleben von Religion und Familie —

381
00:22:45,566 --> 00:22:49,682
die das hauptsächliche Erbe der Klassenherrschaft bleibt —,

382
00:22:49,834 --> 00:22:52,814
und folglich der moralischen Repression, die sie sicherstellen,

383
00:22:52,964 --> 00:22:55,692
können als ein und dasselbe

384
00:22:55,849 --> 00:22:57,755
mit der überschäumenden Bekräftigung

385
00:22:57,936 --> 00:22:59,923
des Genusses dieser Welt kombiniert werden;

386
00:23:00,141 --> 00:23:02,320
dieser Welt, die doch produziert wird

387
00:23:02,463 --> 00:23:04,400
gerade nur als Pseudogenuss,

388
00:23:04,565 --> 00:23:06,765
der in sich die Repression birgt.

389
00:23:06,888 --> 00:23:09,773
Mit der seligen Hinnahme des Bestehenden

390
00:23:09,943 --> 00:23:12,840
kann sich auch die rein spektakuläre Revolte verbinden

391
00:23:13,013 --> 00:23:15,654
als etwas identisches:

392
00:23:15,887 --> 00:23:17,940
was die einfache Tatsache zum Ausdruck bringt,

393
00:23:18,067 --> 00:23:21,611
dass die Unzufriedenheit selbst zu einer Ware geworden ist,

394
00:23:21,792 --> 00:23:24,539
sobald sich der ökonomische Überfluss in der Lage fand,

395
00:23:24,649 --> 00:23:26,384
seine Produktion auszudehnen

396
00:23:26,541 --> 00:23:30,041
bis auf die Verarbeitung eines solchen Rohstoffes.

397
00:23:30,460 --> 00:23:33,972
Indem er das Bild einer möglichen Rolle in sich konzentriert,

398
00:23:34,090 --> 00:23:35,255
konzentriert der Star —

399
00:23:35,365 --> 00:23:38,337
d.h. die spektakuläre Vorstellung des lebendigen Menschen —

400
00:23:38,538 --> 00:23:40,935
diese Banalität.

401
00:23:41,199 --> 00:23:43,104
Die Bedingung eines Stars

402
00:23:43,214 --> 00:23:46,474
ist die Spezialisierung des scheinbar Gelebten,

403
00:23:46,797 --> 00:23:48,844
ist der Gegenstand der Identifizierung

404
00:23:48,938 --> 00:23:51,288
mit dem scheinbaren Leben ohne Tiefe,

405
00:23:51,494 --> 00:23:55,157
der die Kompensation für die Zerstückelung in

406
00:23:55,236 --> 00:23:57,560
tatsächlich gelebte produktive Spezialisierungen bilden soll.

407
00:23:57,973 --> 00:24:02,205
Die Stars sind da, um verschiedenerlei Typen von Lebensstilen

408
00:24:02,406 --> 00:24:05,197
und Gesellschaftsauffassungen darzustellen,

409
00:24:05,351 --> 00:24:08,150
denen es global zu wirken freisteht.

410
00:24:08,319 --> 00:24:12,604
Sie verkörpern das unzulängliche Resultat der gesellschaftlichen
Arbeit,

411
00:24:12,839 --> 00:24:15,642
indem sie Nebenprodukte dieser Arbeit mimen,

412
00:24:15,846 --> 00:24:19,491
die als deren Zweck magisch über sie erhoben werden:

413
00:24:19,948 --> 00:24:21,923
die Macht und die Ferien,

414
00:24:22,176 --> 00:24:24,446
die Entscheidung und der Konsum,

415
00:24:24,554 --> 00:24:28,979
die am Anfang und am Ende eines unbestrittenen Prozesses stehen.

416
00:24:29,333 --> 00:24:31,963
Die Regierungsgewalt

417
00:24:32,097 --> 00:24:34,454
personalisiert sich dort zu einem Pseudostar,

418
00:24:34,640 --> 00:24:38,561
hier lässt sich der Star des Konsums durch Plebiszit akklamieren

419
00:24:38,718 --> 00:24:40,848
als Pseudogewalt über das Erleben.

420
00:24:40,977 --> 00:24:45,966
Aber diese Aktivitäten des Stars sind ebensowenig wirklich global

421
00:24:46,136 --> 00:24:48,592
wie verschiedenartig.

422
00:24:51,569 --> 00:24:53,682
Die Einheit des Elends ist es,

423
00:24:53,856 --> 00:24:56,882
die sich unter den spektakulären Gegensätzen verbirgt.

424
00:24:57,060 --> 00:25:00,091
Wenn verschiedene Formen derselben Entfremdung

425
00:25:00,205 --> 00:25:03,570
einander unter den Masken der totalen Auswahl bekämpfen,

426
00:25:03,743 --> 00:25:08,463
so deswegen, weil sie alle auf den verdrängten, wirklichen
Widersprüchen aufgebaut sind.

427
00:25:08,661 --> 00:25:12,382
Nach den Erfordernissen der besonderen Stufe des Elends,

428
00:25:12,524 --> 00:25:14,418
das es dementiert und aufrecht erhält,

429
00:25:14,529 --> 00:25:17,742
existiert das Spektakel in einer konzentrierten

430
00:25:17,852 --> 00:25:19,494
oder einer diffusen Form.

431
00:25:19,866 --> 00:25:21,145
In beiden Fällen

432
00:25:21,256 --> 00:25:27,574
ist es nur ein von Trostlosigkeit und Grausen umgebenes Bild
glücklicher Vereinigung

433
00:25:27,676 --> 00:25:30,821
im stillen Zentrum des Unglücks.

434
00:25:33,148 --> 00:25:35,101
Das konzentrierte Spektakuläre

435
00:25:35,274 --> 00:25:38,833
gehört wesentlich zum bürokratischen Kapitalismus,

436
00:25:39,006 --> 00:25:42,817
auch wenn es gelegentlich als Technik der Staatsgewalt

437
00:25:42,958 --> 00:25:45,431
über rückständigere gemischte Ökonomien

438
00:25:45,580 --> 00:25:49,375
oder in Krisenzeiten des fortgeschrittenen Kapitalismus eingeführt
sein mag.

439
00:25:52,532 --> 00:25:54,808
Das bürokratische Eigentum ist tatsächlich

440
00:25:55,009 --> 00:25:57,513
selbst konzentriert in dem Sinne,

441
00:25:57,647 --> 00:26:00,999
dass der einzelne Bürokrat an dem Besitz

442
00:26:01,096 --> 00:26:02,582
der Gesamt-Ökonomie

443
00:26:02,679 --> 00:26:05,821
lediglich vermittels der bürokratischen Gemeinschaft,

444
00:26:05,961 --> 00:26:08,816
nur als deren Mitglied, teilhat.

445
00:26:08,992 --> 00:26:12,905
Außerdem stellt sich auch die hier weniger entwickelte
Warenproduktion

446
00:26:13,180 --> 00:26:15,841
in einer konzentrierten Form dar:

447
00:26:16,006 --> 00:26:18,391
die von der Bürokratie verwaltete Ware

448
00:26:18,541 --> 00:26:20,636
ist die ganze gesellschaftliche Arbeit,

449
00:26:20,753 --> 00:26:22,792
und was sie der Gesellschaft wiederverkauft,

450
00:26:22,937 --> 00:26:24,753
ist deren Ãœberleben im ganzen.

451
00:26:25,060 --> 00:26:27,400
Die Diktatur der bürokratischen Ökonomie

452
00:26:27,469 --> 00:26:32,246
kann den ausgebeuteten Massen keine nennenswerte Wahlfreiheit lassen,

453
00:26:32,318 --> 00:26:35,048
denn sie hat alles selbst wählen müssen

454
00:26:35,161 --> 00:26:37,260
und jede andere außerhalb von ihr getroffene Wahl,

455
00:26:37,357 --> 00:26:39,631
ob sie nun die Ernährung oder die Musik betrifft,

456
00:26:39,776 --> 00:26:43,449
ist deshalb bereits die Wahl ihrer vollständigen Zerstörung.


weiter im n0name newsletter #139

------------------------------------------------------------------------

2.

verteidigt das Portal der Fantasie

(Fortsetzung aus n0name newsletter #137)

Fotografien sind technisch belichtete ausgeschnittene Flaechen mit vi-
suellen Informationen. Der Monitor des Fernsehers, Videos oder Com-
puters hat seinen definierten Rahmen im Verhaeltnis 4:3 oder 16:9; die
Kinoleinwand oder die elektronische Projektion expandieren diese Ver-
haeltnisse lediglich. Beim Betrachten medialer Konstrukte haben wir
uns daran gewoehnt, sie als mehr oder weniger groszzuegig eingerahmte
Bilder anzunehmen. Zumal wenn die Rahmen mit kuenstlerischem An-
spruch gefuellt werden, entstand daraus das Missverstaendnis, dass wir
es bei jeglicher medialer Produktion, die wir audiovisuell wahrnehmen
koennen, vor allem mit der Produktion von Bildern zu tun haben. In

314


Skulpturen eingelassene oder in Museen zu Monumenten gestapelte
Monitore, mit oder ohne Lautsprecher, vertieften das Missverstaendnis,
dem Kunsthistoriker und -kritiker immer noch aufsitzen. Formen pro-
zessualer Kunstpraxis wie das Happening, die Performance oder die
Aktion waren fuer sie schon schwer handhabbar und fristen eine Exis-
tenz ganz am Rand ihrer Aufmerksamkeit.
Soweit es die aesthetischen Disziplinen betrifft, waren die Literatur-
wissenschaften wesentlich frueher zur Oeffnung bereit. Dramatische
Texte, Lautgedichte oder orale Lyrik bewegen sich als mediale Formen
genuin in der Zeit. Gotthold Ephraim Lessings "Laokoon" wurde uns
im Grundstudium am ehemaligen "Institut fuer Sprache im techni-
schen Zeitalter" in Berlin von Friedrich Knilli eingefloeszt wie
theoreti-sche Muttermilch. Unter anderen ueber ihn gewannen wir den
Zugang zur Analyse von Film- und Radiotexten. Auch die Politologie,
Soziolo-gie und Psychologie nahmen mediale Einzelphaenomene und
Struktu-ren frueh in ihren Gegenstandskanon auf Sie sind ebenfalis
weniger mit statischen Objekten im Raum befasst als mit Prozessen,
Verhaeltnissen und Dynamiken. Ganz zu schweigen von den Physiologen,
Physikern, Chemikern oder Medizinern. Medienapparate begleiten ihre
Forschun-gen und Experimente schon seit den Gruenderjahren ihrer
Diszi-plinen. [20] Mischungen, Koppelungen, Rhythmen, Takte, Montagen,
Verlaeufe, Kollisionen gehoeren zu den Grundmodi, mit denen die Wis-
senschaften von den Koerpern im Groszen wie im Kleinen zu tun haben.
Auch deshalb spielen die Musik, der Klang, der Ton in der Medien-
archaeologie eine akzentuierte Rolle. Kuenste, die mit und durch
fortge-schrittene technische Medien operieren, sind Zeitkuenste. Das
kann sich in der Herstellung von Illusionen bewegter Bilder in Form
sukzessiver Fotograflen oder dynamischer graphischer Strukturen
aeuszern. Davon erzaehlen die industriell bespielten Kanaele der
Mediendistribution all-taeglich und ueberreichlich. Aber Bilder in
scheinbarer Bewegung sind nicht mehr als ein Phaenomen von vielen,
welche die Kuenste in der Zeit hervorbringen. Robert Fludd
beschaeftigte sich mit dem Aufbau harmo-nischer Strukturen ebenso wie
mit Arithmetik oder meteorologischen Prozessen. Fuer Kircher waren
das Komponieren und das Kombinieren ebenso wichtige Kunstpraxen wie
die Herstellung ueberraschender vi-

315


sueller Effekte. Aber einen wirklichen Paradigmenwechsel auch in der
theoretischen Kunstbetrachtung hat der Physiker und Galvanist Ritter
mit seinem Herunterbuecken auf die Horizontale, in der die Klangkoer-
per mit den Chladni'schen Figuren schwangen, angestoszen. Mit der
Elektrizitaet ist den Medienwelten eine neue Seele eingehaucht
worden. Sie waren fortan nicht mehr primaer statisch zu denken, sie
begannen zu tanzen, zu oszillieren, zu vibrieren, lebendig zu werden.
Damit gerie-ten sie auf einen schluepfrigen Boden. Sie bewegten sich
nun in enger Nachbarschaft zu den Phaenomenen aus dem "Museum des
Schlafs" (Robert Walser), das die Leute Leben nannten. Porta hatte
mit seinen Projektionen des realen Auszenraums in den kuenstlichen
Innenraum der _camera obscura_ schon darauf aufmerksam gemacht. Von
nun an be-fanden sich Beobachter und Teilnehmer medialer Ereignisse
in einem permanenten Realitaetstest. Verschiedene Wirklichkeiten
traten fuer die Wahrnehmung in Konkurrenz zueinander Das erhoehte
die Moeglich-keiten des Genusses, aber auch die Verunsicherungen.
Welche der Wel-ten darf als wahr gelten und welche als unwahr?
Ritter mag die Turbu-lenzen gespuert haben, in die Denken und
Wahrnehmen damit gerie-ten, und definierte die neue einzufordernde
Kunstpraxis als Physik. Es ist noch nicht zu spaet, den Schwingungen
in seiner vor 200 Jahren ge-haltenen Rede aufmerksam zuzuhoeren.
Auch und gerade in den mit aesthetischen Phaenomenen befassten
Disziplinen koennten Missver-staendnisse vermieden werden.
Die Elektrizitaet als Kraft benoetigende Medienwelten und kuenstlich
hergestellte, prozessierte und rhythmisierte Zeit sind Synonyme. Das
Nomadentum der zeitgenoessischen Alchemisten aus den elektroni-
schen Kuensten hat auch logistische und oekonomische Gruende. Sie
zie-hen dorthin, wo sie gut eingerichtete Labore fuer ihre Experimente
vor-finden und wo ihnen Freiraeume angeboten werden, in denen sie
ihre instabilen oder gar fluechtigen Arbeiten voruebergehend
installieren und praesentieren koennen. Einige der exzellenten
Kuenstler aus der ersten Ge-neration, die sich auf die wenig
verlaesslichen Techniken einliesz, stam-men nicht aus der Tradition
der bildenden Kuenste. Nam June Paik be-gann als Musiker und
Fluxus-Kuenstler. Steina Vasulka ist eine virtuose Geigerin und gab
groszartige Violinkonzerte, bevor sie sich dem Film,

316


dem Video und Koppelungen ihres Geigenspiels mit den elektronischen
Bildwelten zuwandte. Peter Weibel stand neben vielen anderen Iden-
titaeten, die er annahm, als Rockmusiker auf der Buehne und lebt
seine Identitaet als Aktionskuenstler sogar in seinen leitenden
Funktionen als Direktor medienkuenstlerischer Institutionen.
Alluquére Roseanne Stone arbeitete unter anderem fuer die
Buehnenshows von Jimi Hendrix, bevor sie sich der Auffuehrung
medienwissenschaftlicher Diskurse wid-mete. Perry Hoberman
konstruierte Projektionen fuer die multimedia-len Konzerte Laurie
Andersons, bevor er seine eigenen komplexen In-stallationen baute.
Auch deswegen haben es solche Kuenstlerinnen und Kuenstler nicht
leicht mit den Ausstellungsorten der traditionellen bil-denden
Kunst. Galerien und Museen tun sich schwer mit ihnen. Sie kommen
eher aus einer Kultur der Konzerthalle, der Clubs, der Tour-nee,
der Strasze als derjenigen der Kontemplation und der Sammlung.

--------------------------------------------------------------
| Poesien des Kairos in den Medienwelten koennen wirk- |
| same Mittel gegen die #Enteignungen des Augenblicks# sein. |
--------------------------------------------------------------

Unter dem Pseudonym Heinrich Regius veroeffentlichte Max Horkhei-
mer 1934 seine "Notizen zu Deutschland". Er nannte sie im Titel "Daem-
merung". Darin findet sich ein kleiner Abschnitt mit der Ueberschrift
"Zeit ist Geld". Es draenge sich "die Frage nach einem Kriterium auf,
wie-viel Geld eine bestimmte Zeit wert ist", schreibt er darin und
faehrt fort:

"Ein Arbeiter, der sich ein Automobil mietet, um morgens noch
rechtzeitig zur Arbeitsstaette zu kommen, ist dumm (Vergleich der
Fahrtkosten mit sei-nem Tageslohn), ein Erwerbsloser, der fuenf Mark
in der Tasche hat und ein Auto benutzt, um Zeit zu sparen, ist
verrueckt, aber schon ein mittlerer Pro-kurist wird anfangen,
talentlos zu sein, wenn er seine Besuche nicht im Auto erledigt.
Eine Minute im Leben des Erwerbslosen besitzt einen anderen Wert
als eine Minute des Prokuristen ... Zeit ist Geld - aber was ist die
Lebenszeit der meisten Menschen wert? Wenn man sich schon nicht
scheut, so allge-mein daherzureden wie ein Sprichwort, dann ist nicht
Zeit Geld, sondern Geld ist Zeit, ebenso wie es Gesundheit, Glueck,
Liebe, Intelligenz, Ehre, Ruhe ist. Denn es ist ja erlogen, dasz,
wer Zeit hat, auch Geld hat, mit bloszer Zeit kann man sich kein
Geld verschaffen, aber umgekehrt." [21]

317


Aus der Erfahrung einer traege verlaufenden Zeit, die den Kreislaeufen
der agrarischen Produktion verbunden war, machte Aleksej Gastev vor
gut acht Jahrzehnten den unverschaemten Vorschlag, Zeitwahrneh-
mung und Zeitpraxis ganz an den Takt dessen anzuschlieszen, was er
das _Maschinische_ nannte. Es ging ihm dabei weniger um eine absolute
Beschleunigung als um eine alternative Strukturierung der Zeit, die
den Arbeitsprozess effektiver machen und dadurch Zeit sparen sollte.
Die Verkoppelung mit dem mechanischen Apparat auf der Basis seines
binaeren Codes fuer Bewegungen wollte die Reibungen zwischen dem
biologischen und dem technischen Koerper eliminieren oder zumindest
auf ein Mindestmasz reduzieren. Eine neue #Souveraenitaet des
Einzelnen# erhoffte er sich aus dem bewussten Akt, dass er sich
mit dem ganz An-deren zu einer neuen Einheit verbaende: der
proletarischen Menschma-schine oder, was in Gastevs Perspektive
dasselbe war, dem Maschinen-menschen. Diese Konstruktion hatte fuer
den poetischen Organisator sowohl utopischen als auch elitaeren
Charakter. Er wusste, dass die Symbiose als Zustand nicht zu
erreichen waere, und er nahm selbstbe-wusst in Kauf, dass nur wenige
hoch qualifizierte und flexible Verbin-dungen von Hand- und
Kopfarbeitern sich ihr annaehern koennten. Auf der Basis des
binaeren Codes digitaler Computer sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Informationen per _bit_ abrechenbar geworden, ganz gleichgueltig, ob
es sich dabei um Zahlenreihen, Bilder, Texte oder Toene handelt. Die
digitale Grundeinheit wird neue abstrakte Waeh-rung. Als kleinster
Techno-Moment ist sie Berechnungsgrundlage fuer eine Oekonomie der
Dienstleistung in Form von Zeichenproduktionen und Programmen, die
tendenziell auch diejenigen Kuenste umschlieszt, die sich
ausschlieszlich durch die vernetzten Medien verwirklichen. Die
Herausbildung solcher Abrechnungsmodalitaeten fuer das Vergnuegen
und die Arbeit verlief parallel mit der Zuspitzung einer massenmedia-
len Tendenz, die Jean-Francois Lyotard in einem seiner fruehen Texte
treffend so umschrieb: "Unsere Kultur zeichnet aus, was sie als
einzi-gen Auftritt, der fuer sie Ereignis ist, in Szene setzt: den
Augenblick des Tauschs, das Unmittelbare, den Knueller, die 'reale'
Zeit, die fuer sie die einzig lebende Zeit ist. Man kann diesen
Augenblick, in dem sich die ak-kumulierte 'tote' Zeit realisiert,
obszoen nennen." [22] Die Verfuegbarkeit

318

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---------- Weitergeleitete Nachricht ----------

Von: Giordano Bruno Stiftung <presse [at] giordano-bruno-stiftung [dot] de>
Datum: 25. Februar 2009 08:22
Betreff: "Evolutionstag statt Christi Himmelfahrt!" gbs-Kampagne zur
Änderung der Feiertagsgesetze
An: xxxxxx.xxxxxxxxxx [at] gmail [dot] com


"EVOLUTIONSTAG STATT CHRISTI HIMMELFAHRT!" GBS STARTET KAMPAGNE ZUR
ÄNDERUNG DER FEIERTAGSGESETZE

Christi Himmelfahrt soll künftig Evolutionstag heißen! Das ist das
Ziel einer Kampagne, die die Giordano Bruno Stiftung am
Aschermittwoch startete. Das Darwin-Jahr 2009 biete einen
hervorragenden Anlass, um den enormen Erkenntnisgewinn durch die
Evolutionstheorie gesellschaftlich stärker zu verankern, erklärte
gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon am Stiftungssitz in
Mastershausen. Eine gute Möglichkeit hierfür sei die Einrichtung
eines offiziellen Feiertags: "Am Evolutionstag sollte gefeiert
werden, dass wir endlich den kindlichen Narzissmus überwunden haben,
der uns dazu verleitete, unsere Art als 'Krone der Schöpfung’ zu
betrachten."

Da nicht zu erwarten sei, dass die gesetzgebenden Länder den
"Evolutionstag" als zusätzlichen Feiertag einführen werden, biete sich
die offizielle Umbenennung eines bereits bestehenden christlichen
Feiertags an, heißt es in dem von Schmidt-Salomon verfassten
Petitionstext. Der hierfür am besten geeignete Kandidat sei "Christi
Himmelfahrt", einer der neun bundeseinheitlich geltenden Feiertage.
Christi Himmelfahrt empfehle sich schon allein deshalb, weil viele
Familien an dem Tag Ausflüge in die Natur unternehmen würden.
"Angemessener kann ein 'Evolutionstag’ kaum begangen werden!", sagte
der gbs-Sprecher, der mit dem kürzlich erschienenen Kinderbuch "Susi
Neunmalklug erklärt die Evolution" einen der provokantesten
Beiträge zum Darwin-Jahr vorgelegt hat.

Für die Umbenennung von Christi Himmelfahrt in Evolutionstag spreche,
so Schmidt-Salomon, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden
Christen nicht mehr "an das Glaubensdogma der leiblichen Auffahrt Jesu
in den Himmel" glaube. Außerdem müsse endlich auch das
konfessionsfreie Drittel der Gesellschaft berücksichtigt werden, dem
aus Fairnessgründen ein Drittel der gesetzlichen Feiertage zustehe.
"Davon sind wir noch meilenweit entfernt!", kritisierte
Schmidt-Salomon. "Die Umbenennung von Christi Himmelfahrt in
Evolutionstag wäre ein erstes Anzeichen dafür, dass dieser Staat in
seiner Feierkultur nicht nur gläubige Christen respektiert, sondern
auch die vielen Millionen Bundesbürger, die eine dezidiert säkulare
Weltsicht vertreten."

Die Petition zur Umbenennung von Christi Himmelfahrt in Evolutionstag
kann auf dem Internetportal zum Darwin-Jahr (www.darwin-jahr.de/e-day)
unterzeichnet werden. Zur Unterstützung der Kampagne hat die Giordano
Bruno Stiftung heute Charles Darwin persönlich in den Ring geschickt.
In dem u.a. auf YouTube veröffentlichten Musikvideo "Children of
Evolution" erklärt der Jubilar in fröhlicher Rockstarpose, warum es
keine Schande ist, ein "nackter Affe" zu sein...

Direkter Link zur Petition "Evolutionstag statt Christi Himmelfahrt!"
http://www.darwin-jahr.de/e-day

Link zum Video: "Darwin & The Naked Apes / Children of Evolution"
http://www.youtube.com/watch?v=wbIa9fZuTFA&feature=channel

Bitte helfen Sie mit, die Petition und das Darwin-Video im Internet zu
verbreiten!
Vielen Dank!


Mit freundlichen Grüßen
Das gbs-Newsletter-Team
www.giordano-bruno-stiftung.de

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