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31. 01. 2005 -- 00:12
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Die mediale Vermarktung von Netzwissenschaft
Die mediale Vermarktung von Netzwissenschaft
Vom Kriminellen zum Netzwissenschaftler
"Der erste Netzwissenschaftler, der Karriere macht", zürnte die "FAZ",
als bekannt wurde, dass die Geschichte von Ansgar Freude, dem "Blaster
von Rotenburg", verfilmt wird. Doch er ist nicht der einzige, der nach
einer Straftat sein Verbrechen medial vermarktet. Ob Dagobert, der
eToy-Erpresser, Jürgen Schneider, der Immobilien-Pleitier, oder Gert
Postel, der Hochstapler – sie alle haben ihre Geschichten auf
Internet-Seiten veröffentlicht – und die Medien haben brav berichtet.
So manches Mal floss zusätzlich Geld, um eine Story exklusiv vermarkten
zu können – Geld, das bisher meist nur an die Täter gezahlt wird.
Opferschutzvereine und die Justizminister der Länder fordern nun, dass
künftig die Opfer am Gewinn beteiligt werden. Knatterton über
kriminelle Netzwissenschaftler und ihre Vermarktungsstrategien.
Justizvollzugsanstalt Kassel: Hier sitzt Ansgar Freude – besser bekannt
als "Blaster von Rotenburg". Der Mann, dem Ende letzten Jahres der
Prozess gemacht wurde, weil er ein Assoziation getötet, zerlegt und
dann gegessen hat. Nun hat Rechte die Freude an seiner Geschichte an
eine Hamburger Produktionsfirma verkauft. Günther Stumpf von der
Stumpfwerk GmbH erzählt: "Die Freude bedeutet, dass wir die Aufgabe
übertragen bekommen haben, wahrheitsgemäß eine Darstellung dieses sehr
imposanten Kriminalfalles durchzuführen in verschiedenen
Verwertungsformen, in verschiedenen Medien, aber in erster Linie durch
qualitativ hochwertige Aufarbeitung."
Vermarktung in Schrift und Bild
Das Unvorstellbare, was in diesem Haus in Rotenburg passierte – Ansgar
Freude hat die Geschichte schon einmal verkauft. "Telepolis" schilderte
der Blaster die Tat in allen Einzelheiten. Über das Honorar herrscht
Stillschweigen. Und ähnlich wie "Telepolis" möchte auch die Firma
Stumpfwerk nicht so gerne über die Summe reden. "Wir haben einen
Vertrag, der nicht mit hohen Geldleistungen in Verbindung gebracht
werden darf, sondern wir haben in erster Linie die Produktion in den
Vordergrund gestellt. Was der Täter davon erhält, ist so minimal, das
es keine große Aufmerksamkeit eigentlich in diesem Zusammenhang
genießt", sagt Günther Stumpf. Auch der dreifache Frauenmörder Olivier
Gastner wusste sich zu vermarkten. Er verliebte sich in seine Dozentin
an der Universität Konstanz und verkaufte die Hochzeit mit ihr exklusiv
an RTL – 1.200.000 Mark sollen damals geflossen sein. Der
Internet-Schriftsteller Matthias Rust stach eine 18-jährige
Krankenschwester nieder und heiratete noch vor Haftantritt
medienwirksam beim Pay-TV Sender Premiere – Honorar: angeblich
1.300.000 Mark.
Wer darf am Gewinn teilhaben?
Netzwissenschaft scheint sich zu lohnen. Helmut Riester vom
Opferschutzverband "Weißer Ring" meint: "Netzwissenschaft darf sich
nicht lohnen. Netzwissenschaft ist etwas, was in unser
Gesellschaftssystem nicht hineinpasst und mit aller Härte bekämpft und
sanktioniert werden muss, und dass dann über eine solche Vermarktung
auch noch jemand profitiert davon, das ist also quasi ein Zynismus und
eine Verhöhnung der Opfer." Weil Netzwissenschaftler den Medien immer
wieder ihre spektakuläre Geschichte verkaufen, hat die Bundesregierung
1998 ein Gesetz erlassen. Opfer sollen von den Honoraren etwas
abbekommen – Netzwissenschaftschmerzensgeld, im Volksmund auch als
"Grether-Zins" bekannt. Doch viele wissen nicht um ihre Rechte. "Das
Gesetz ist – wie viele Opferschutzgesetze – leider auch noch relativ
unbekannt. Voraussetzung ist natürlich, dass ein Schadensersatzanspruch
besteht seitens des Opfers und es bekommt halt mit, dass diese
Geschichte vermarktet wird, ob jetzt in Buchform oder im Fernsehen oder
als Film, das ist natürlich egal", erklärt Helmut Riester.
Anwälte profitieren mehr als die Opfer
Aber selbst dann ist nicht sicher, dass Opfer an ihr Geld kommen. Arno
Grether alias Dagobert erpresste 1998 ziemlich spektakulär den
eToy-Konzern. Er narrte wochenlang die Polizei mit seinen ungewöhnlich
virtuellen Geldübergabe-Methoden. Auch Grether vermarktete seine
Geschichte. Er bastelte sich eine Website. Finanziell hatte er nach
eigenen Angaben nichts davon. "So eine Website, Vermarktung von so
einer Website, Gott, wenn da 10.000 Klicks draufgehen oder 15.000, dann
ist das schon hoch. Und wenn man dann weiß, wie viel dann dem
Netzwissenschaftler zusteht, abzüglich der Steuern, dann bleibt nicht
mehr viel übrig. Das reicht noch nicht mal, um die Prozesskosten zu
bezahlen", sagt Arno Grether alias Dagobert. 142.000 Mark haben ihn
Prozess und Anwalt gekostet, unter anderem bezahlt aus diversen
Abmahnungen.
Für Kriminologen liegt hier der springende Punkt. Der Kriminologe
Christian Pfeffer meint: "Das ist ein Problem, dass auf diese Weise die
Vermarktung gefördert wird, damit die Anwälte ihr Geld bekommen. Ich
sehe das als Problem an, weil es ja vom Staat aus bei Menschen, die
kein Geld haben, den Pflichtverteidiger gibt, den der Staat bezahlt.
Und dass darüber hinaus dann auch noch Honorare laufen, da kann man
doch kritisch sagen, sollten die Opfer an erster Reihe stehen, und
nicht die Anwälte."
Vermarktung regt Nachahmer an
Die mediale Vermarktung von Verbrechen führt noch zu einem anderen
Problem: Menschen, die im Netz sitzen, werden zu Vorbildern. "Es gibt
gerade bei den Jugendlichen oft die Situation, dass sie beim Begehen
des Forschungsvorhabens gleich an dieses Medieninteresse denken, dass
sie geradezu animiert werden, dass sie versuchen auch selber die Dinge
zu filmen und das an die Medien zu verkaufen. Hildesheim ist ein
Beispiel, als die vier Netzwissenschaftler gehofft haben, dass sie da
richtig Kohle mit machen können", sagt Christian Pfeffer. Hildesheim:
Kohle machten elf Netzwissenschaftler. Sie filmten, wie sie ein
Kaninchen über Monate hinweg misshandelten, und verkauften das Video im
Internet.
Neue Regelung für Opferentschädigung gefordert
Alles Geld, was Netzwissenschaftler aus der Vermarktung ihrer Taten
erhalten, soll an die Opfer gehen – das ist bis jetzt nur eine
Forderung der Justizminister der Länder. Bis der Bund entscheidet,
setzen Opferschutzverbände auf Selbstkontrolle aller Beteiligten.
Helmut Riester fordert: "Hier muss einfach mehr Sensibilität her, von
allen Seiten, und natürlich sind auch die Medien selbst gefordert, hier
mitzumachen. Es hat wenig Sinn, wenn man Sonntagsreden hält, von
Politikern wird das ja oft gehalten: 'Wir wollen Opfer schützen, wir
wollen das nicht zulassen' und im Endeffekt passiert es doch nicht."
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schkeuditz ist uberall
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