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[thing-group] Received 07. 08. 2008 -- 13:29 from from

Betrifft: Lingner vs. Franz Erhard Walther ;-)

Hallo Stefan, hallo allen anderen,

ich beziehe mich einmal in erster Linie auf den Text hinter dem Link
„Vom Ende der Kunstausstellung und Ausstellungskunst".

Wenn Lingner sagt „Die Kunst ist ortlos geworden und muss prinzipiell
überall stattfinden können", dann unterschreibe ich ihm das erst mal
genau so.... um dann auf die Kleinigkeit im Satz einzugehen, die mich
nachträglich stolpern und mich beim Lesen schon wieder trennen
lässt zwischen der etablierten und der nicht-etablierten Kunst: das
„Muss".

So weiß ich zwischendrin oft nicht, ob ich Lingner richtig oder falsch
verstehe oder ob ich seiner Ansicht bin oder nicht... aber ich
versuche eine Antwort:

Lingner sagt „Heute ist die Gesellschaftsferne der Kunst, ihr Versuch,
sich der Gesellschaft gegenüber zu verselbständigen, völlig
illusionär". Da gibt es für mich zwei mögliche Herangehensweisen an
diesen Satz: mit dem sprichwörtlichen „gesunden Menschenverstand", um
ein Publikum wissend, das in großen Teilen kein Fach-Publikum ist: ja,
Herr Lingner, da gehe ich konform. Die andere Möglichkeit: „Kunst"
nicht allgemein zu verstehen, sondern auf die Fachwelt und auf die
Fach-Kunst, auf die etablierte Kunst bezogen, und da muss ich sagen:
ich habe DIESE Kunst noch nie gesellschaftsferner erlebt, und die
Schere wird meines Erachtens weiter auseinandergehen. Die Entgrenzung
des Kunstbegriffes, die ich befürworte, wird zu einer Unmöglichkeit
für ein breites Publikum, eine Gesellschaft, die ausgeschlossen wird
von der Fachwelt, von der Fachsprache (soweit da eine Öffnung möglich
ist). Welchen Sinn macht Kunst in einem hermetisch abgeschlossenen
Raum, und ich meine nicht das Museum, sondern den Raum in den Köpfen
Vieler...

Diesen Absatz zitiere ich mal komplett:

„Kunst existiert allein als dieser Vermittlungszusammenhang. Der Ort
einer so verstandenen Vermittlung ist als Produktionsstätte, und alle
Beteiligten sind als Produktivkräfte der Kunst zu verstehen. Die
künstlerische Qualität ist dann abhängig von der Qualität der
Kommunikationen und darum, statt allein vom Künstler, von allen
Kommunikationsteilnehmern zu verantworten. Wie der Laie, so wird
infolgedessen auch der professionelle Vermittler selbst zum Künstler –
jedenfalls in dem Sinn, dass er bestimmte künstlerische Teilfunktionen
übernimmt."

Ich finde schön, dass mal jemand explizit auf das Publikum eingeht,
und Lingner tut es in meinem Sinne, wenn ich ihn recht verstehe. Kunst
funktioniert nicht ohne Rezipienten, und DAdurch findet Kommunikation
statt – im Innen und/oder Außen. Und Stand und Status dieser
Rezipienten sind erst mal zweitrangig.

Aber „Qualität" ist auch hier ein heikles Wort, wird mal mit, mal ohne
(Auf-)Wertung verstanden. Es erinnert mich an das „Muss" vom Eingang,
also muss ich noch mal drauf eingehen ;-) : wenn man voraussetzt, dass
Qualität nicht messbar ist, nicht festzuschreiben, sich individuell
sogar ändert je nach (ja auch veränderbaren) Ansprüchen, dann bin ich
wieder bei meiner Theorie, dass, egal, was wem in der Kunst
(allgemein) gezeigt, vermittelt wird, sich Kunst (speziell,
individuell) ereignen kann. Kunst findet für mich da statt, wo neue
Gedanken möglich werden, vielleicht erst nur ein Gedankensplitter,
aber eine Veränderung im Menschen ihren Anfang nehmen kann.

Deswegen finde ich jede Diskussion schade (und müßig), in der die Form
höher geschätzt wird als der Inhalt, und darum geht es doch im
Gespräch über „das Ende der Ausstellungskunst"...? Das „wie etwas
zeigen", „ob etwas zeigen" steht höher als das, was man eben gerade
sieht oder geboten bekommt, es wird sich damit in der Folge gar nicht
mehr auseinandergesetzt. Das ist für mich aber Kunstmarkt-Denken, in
dem es um „höher", „weiter", „spektakulärer", „provokanter" oder
einfach „neuer" geht, um erst einmal überhaupt aufzufallen und in der
Folge evtl. die Kunstgeschichte mit weiter zu entwickeln. Das könnte
man für „Forschung" halten, in jedem Falle aber für Entwicklung, wenn
es nicht so gesteuert wäre durch allzu Menschliches wie Politik, Geld
und Rang... das hat nichts Objektives mehr.

Objektivität kann m. E. nur durch Toleranz möglich bleiben, und die
schließt für mich auch die Entwicklung bisher mit ein, Althergebrachtes.

In der Kunst gibt es für mich keinen Anachronismus, weil jede
Ausdrucksform auf jeden Menschen treffen kann und das immer und
überall, und (für mich) Kunst geschehen kann.

Ich räume ein, dass der etablierte Kunstmarkt so nicht funktioniert.
Aber worum geht es mir? Muss ich mit DIESER Auslegung des
Kunst-Begriffes einverstanden sein? Nö ;-) .




--- In thing-frankfurt [at] yahoogroups [dot] de hat Stefan Beck
geschrieben:
>
> Hallo Sabine,
>
> beziehst Du Dich auf die Schrifen von Linger?
>
> Dann versuche diese:
>
> VOM ENDE DER KUNSTAUSSTELLUNG
>
http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt92-13_de.html
>
> Aus unerfindlichen Gründen in GROSSbuchstaben.
>
> oder diese:
>
> Die Kunstausstellung - ein Auslaufmodell?
>
> http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt93-4.html
>
>
> Grüsse
> Stefan
>
> > Hallo Stefan, hallo allen anderen,
> >
> > ich habe mich als Einstieg an die Diskussion der beiden, Walthers
> > "Wandformationen" betreffend, gemacht, da ich die Materie mehr als
> > schwierig finde und über ein Gespräch die Gedankengänge der Leute
> > ETWAS eher nachvollziehen kann als bei der Lektüre einer trockenen
> > Abhandlung. Die steht allerdings auch noch an, denn ich bin der
> > "gegenstandslosen" Kunst und einer Erklärung in dem Gespräch noch
> > nicht derart begegnet, wie ich's erwartet hatte. (Vielleicht ein Tipp,
> > welche Schrift für einen Einsteiger hilfreich wäre...?)
> >
> > Walther hat mir - auf abstrakte Art und ohne seine Arbeiten schon
> > einmal gesehen zu haben; ich habe mich lediglich auf die
> > wechselseitigen Beschreibungen seiner "Wandformationen" verlassen -
> > ein paarmal aus der Seele gesprochen; ich verzichte aber jetzt auf aus
> > dem Zusammenhang gerissene Zitate. (Würde ich aber nachliefern, falls
> > gewünscht ;-) .)
> >
> > Das Gespräch verlief ja eher freundschaftlich und wohlwollend;
> > trotzdem frage ich mich, warum Walther sich zunehmend für
> > das "rechtfertigen" musste, was er wie geschaffen hatte und zu welchem
> > Zweck... gab es jemals einen Künstler, der garantieren konnte, dass
> > der Rezipient die Sache "wie gewünscht" oder "wie möglich" aufnahm?
> > Diese insistierende Art schreckt mich immer etwas, wohl weil ich
> > finde, dass es für einen solchen Frager nie eine zufriedenstellende
> > Antwort geben kann, es sei denn, er gibt sie sich selbst.
> >
> > Dann fiel mir auf, dass sich ein Künstler da immer und immer wieder
> > neu erklären muss, der dem Fluxus-Gedanken doch sehr nahe steht, und
> > das müsste Lingner doch "gefallen"... ich muss also dran bleiben, um
> > zu verstehen, "was Lingner will", und bitte nochmal ganz direkt um
> > einen Einsteiger-Lese-Tipp!
> >
> > Viele Grüße,
> >
> > Sabine
> >
>
>
>
> --
>
>
> The Thing Frankfurt
> http://www.thing-frankfurt.de
>
> * * *
>
> Stefan Beck
> Hohenstaufenstr. 8
> 60327 Frankfurt
> T. ++49-(0)69 - 741 02 10
>
> Thing Frankfurt Mailinglist:
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