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[thing-group] Received 16. 08. 2008 -- 17:32 from from

Re: Betrifft: Lingner vs. Franz Erhard Walther ;-)

Liebe Sabine,

es wäre vielleicht übertrieben, wenn ich sagte, ich stände vor deinem
Text wie der Ochs vorm Berge.

Hinsichtlich des Schreibens in einer Mailingliste möchte ich aber
folgenden Vorschlag machen:

- Immer nur einen Gedanken ausdrücken.

- Und zweitens eine möglichst präzise Handlungsoption anbieten.



Ich pick mir deshalb mal dieses heraus:

> Deswegen finde ich jede Diskussion schade (und müßig), in der die Form
> höher geschätzt wird als der Inhalt, und darum geht es doch im
> Gespräch über ?das Ende der Ausstellungskunst"...?

Ja, das siehst Du ganz richtig.

Ganz pauschal möchte ich mal behaupten, dass das eben moderne Kunst
ausmacht, dass sie die Form über den Inhalt stellt.

Präziser wäre aber zu sagen, dass in ihr der Inhalt von der Form
aufgesogen wird.

Im Urlaub hab ich grad von Umberto Eco das "Offene Kunstwerk" gelesen,
in dem sich das erhellende Kapitel "Form als Engagement" findet.

In aller Kürze referiert, sagt Eco darin, dass Formen, und noch stärker
Inhalte abgenützt werden können. Wie Künstler darauf reagieren, zeigt
Eco dann am Beispiel des Äolus Kapitels in James Joyce Ulysses.

Die Arbeit einer Zeitungsredaktion wird dadurch dargestellt, dass der
Text nur aus Überschriften besteht, die in einer Zeitung stehen könnten.

Hier wird das Problem des Inhaltes einer Zeitung (der manchmal gar nicht
existiert) elegant umschifft, indem Joyce die Form der Zeitung in die
Form seines Textes überträgt, und so es dem Leser überlässt, zu sehen,
was Zeitung ist.

Nun ist das ein sehr kurzer Hinweis nur zum Problem Form und Inhalt.

Aber vielleicht könntest Du uns Beispiele von Kunstwerken geben, in
denen Du den Inhalt über die Form dominieren siehst. (Handlungsoption!)

> Hallo Stefan, hallo allen anderen,
>
> ich beziehe mich einmal in erster Linie auf den Text hinter dem Link
> ?Vom Ende der Kunstausstellung und Ausstellungskunst".
>
> Wenn Lingner sagt ?Die Kunst ist ortlos geworden und muss prinzipiell
> überall stattfinden können", dann unterschreibe ich ihm das erst mal
> genau so.... um dann auf die Kleinigkeit im Satz einzugehen, die mich
> nachträglich stolpern und mich beim Lesen schon wieder trennen
> lässt zwischen der etablierten und der nicht-etablierten Kunst: das
> ?Muss".
>
> So weiß ich zwischendrin oft nicht, ob ich Lingner richtig oder falsch
> verstehe oder ob ich seiner Ansicht bin oder nicht... aber ich
> versuche eine Antwort:
>
> Lingner sagt ?Heute ist die Gesellschaftsferne der Kunst, ihr Versuch,
> sich der Gesellschaft gegenüber zu verselbständigen, völlig
> illusionär". Da gibt es für mich zwei mögliche Herangehensweisen an
> diesen Satz: mit dem sprichwörtlichen ?gesunden Menschenverstand", um
> ein Publikum wissend, das in großen Teilen kein Fach-Publikum ist: ja,
> Herr Lingner, da gehe ich konform. Die andere Möglichkeit: ?Kunst"
> nicht allgemein zu verstehen, sondern auf die Fachwelt und auf die
> Fach-Kunst, auf die etablierte Kunst bezogen, und da muss ich sagen:
> ich habe DIESE Kunst noch nie gesellschaftsferner erlebt, und die
> Schere wird meines Erachtens weiter auseinandergehen. Die Entgrenzung
> des Kunstbegriffes, die ich befürworte, wird zu einer Unmöglichkeit
> für ein breites Publikum, eine Gesellschaft, die ausgeschlossen wird
> von der Fachwelt, von der Fachsprache (soweit da eine Öffnung möglich
> ist). Welchen Sinn macht Kunst in einem hermetisch abgeschlossenen
> Raum, und ich meine nicht das Museum, sondern den Raum in den Köpfen
> Vieler...
>
> Diesen Absatz zitiere ich mal komplett:
>
> ?Kunst existiert allein als dieser Vermittlungszusammenhang. Der Ort
> einer so verstandenen Vermittlung ist als Produktionsstätte, und alle
> Beteiligten sind als Produktivkräfte der Kunst zu verstehen. Die
> künstlerische Qualität ist dann abhängig von der Qualität der
> Kommunikationen und darum, statt allein vom Künstler, von allen
> Kommunikationsteilnehmern zu verantworten. Wie der Laie, so wird
> infolgedessen auch der professionelle Vermittler selbst zum Künstler ?
> jedenfalls in dem Sinn, dass er bestimmte künstlerische Teilfunktionen
> übernimmt."
>
> Ich finde schön, dass mal jemand explizit auf das Publikum eingeht,
> und Lingner tut es in meinem Sinne, wenn ich ihn recht verstehe. Kunst
> funktioniert nicht ohne Rezipienten, und DAdurch findet Kommunikation
> statt ? im Innen und/oder Außen. Und Stand und Status dieser
> Rezipienten sind erst mal zweitrangig.
>
> Aber ?Qualität" ist auch hier ein heikles Wort, wird mal mit, mal ohne
> (Auf-)Wertung verstanden. Es erinnert mich an das ?Muss" vom Eingang,
> also muss ich noch mal drauf eingehen ;-) : wenn man voraussetzt, dass
> Qualität nicht messbar ist, nicht festzuschreiben, sich individuell
> sogar ändert je nach (ja auch veränderbaren) Ansprüchen, dann bin ich
> wieder bei meiner Theorie, dass, egal, was wem in der Kunst
> (allgemein) gezeigt, vermittelt wird, sich Kunst (speziell,
> individuell) ereignen kann. Kunst findet für mich da statt, wo neue
> Gedanken möglich werden, vielleicht erst nur ein Gedankensplitter,
> aber eine Veränderung im Menschen ihren Anfang nehmen kann.
>
> Deswegen finde ich jede Diskussion schade (und müßig), in der die Form
> höher geschätzt wird als der Inhalt, und darum geht es doch im
> Gespräch über ?das Ende der Ausstellungskunst"...? Das ?wie etwas
> zeigen", ?ob etwas zeigen" steht höher als das, was man eben gerade
> sieht oder geboten bekommt, es wird sich damit in der Folge gar nicht
> mehr auseinandergesetzt. Das ist für mich aber Kunstmarkt-Denken, in
> dem es um ?höher", ?weiter", ?spektakulärer", ?provokanter" oder
> einfach ?neuer" geht, um erst einmal überhaupt aufzufallen und in der
> Folge evtl. die Kunstgeschichte mit weiter zu entwickeln. Das könnte
> man für ?Forschung" halten, in jedem Falle aber für Entwicklung, wenn
> es nicht so gesteuert wäre durch allzu Menschliches wie Politik, Geld
> und Rang... das hat nichts Objektives mehr.
>
> Objektivität kann m. E. nur durch Toleranz möglich bleiben, und die
> schließt für mich auch die Entwicklung bisher mit ein, Althergebrachtes.
>
> In der Kunst gibt es für mich keinen Anachronismus, weil jede
> Ausdrucksform auf jeden Menschen treffen kann und das immer und
> überall, und (für mich) Kunst geschehen kann.
>
> Ich räume ein, dass der etablierte Kunstmarkt so nicht funktioniert.
> Aber worum geht es mir? Muss ich mit DIESER Auslegung des
> Kunst-Begriffes einverstanden sein? Nö ;-) .
>
>
>
>


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