Einträge vom Mittwoch, 02. Dezember 2009
Received 02. 12. 2009 15:00 from
Re: Michael Lingner bei Basis
Lieber Brentis,
der Begriff der Intellektuellen Gentrifikation gefällt mir sehr gut.
Und wie immer siehst Du sehr deutlich das Problem.
Ich glaube, daß Lingner sehr wohl von einer (neuen) Nützlichkeit der
Kunst ausgeht.
Unter seinem Postulat der Postautonomie sieht er es aber so. Die Kunst
eignet sich aus sich selbst heraus kunstfremde Ziele an, um sie unter
ihren eigenen Bedingungen nützlich zu machen.
Leider bleibt Lingner mit konkreten Beispielen vage.
Kunst, die sich sozialer und politischer Anliegen annimmt, transformiert
diese und unterwirft sie ihren eigenen Gesetzen. Sofern vormals
Nützlichkeit (Hilfe leisten, Probleme lösen) angestrebt war, kann sie
durch die Kunst auch in ihr Gegenteil verkehrt werden.
Als Beispiel, die Künstlerin Nana Petzet hat ein Gegenmodell zum Grünen
Punkt entwickelt, das darauf hinausläuft jeglichen Müll bei sich zu
Hause zu verwerten und ggf. aufzubewahren.
Dass irgendwann ihr Haus komplett verstopft war, ist einsichtig. Im
Rahmen ihres Selbstversuches hat sich Nutzen von der Mülltrennung und
Rohstoffwiederverwertung (Grüner Punkt) hin zum Nutzen Einsicht in die
Problematik von Autarkie gewonnen zu haben entwickelt.
Ich finde, das nicht weit von dem entfernt, was Du hier forderst:
> Kunstschaffenden der
> Einfachheit halber nur einen Frei-Raum zu lassen, um dort völlig
> selbstbezogen weiterhin die eigene Position in/zur Welt zu erforschen,
> Grenzen zu verschieben und ihnen damit einen Hauch von Selbstfindung
> zuzugestehen?
Oder nicht?
> Hallo,
>
> dazu sage ich nur eines: Intellektuelle Gentrifikation!
> (Das Nutzbar und urbar machen der Intellektuellen und Künstler als
> Brain-Ressource für das 21 Jh.?)
>
> Hr. Beck, hatten sie uns (der Thing Gemeinde, ..) diesen Herrn nicht schon
> vor etwa einem Jahr ans Herz gelegt und hatten wir nicht ebenso angefangen,
> seine Positionen zu diskutieren?
>
> Sicher eine guter Vorschlag, auf seine Vorträge hinzuweisen, ich persönlich
> werde jedoch besonders seine medialen Statements studieren. (Danke für die
> links) Denn irgendwie kommt mir der Herr recht sonderbar vor.
>
> Kunst als kommunikativer Vorwand und Stichwortgeber, um Kunst dadurch
> (endlich?) eine irgendwie "sinnvolle", zielgerichtete Teilnahme an der
> "öffentlichen Diskussion" und dem öffentlichen Raum zu ermöglichen, diese
> Schiene erscheint mir nach wie vor suspekt.
>
> Könnte es nicht ebenfalls wichtig und relevant sein, Kunstschaffenden der
> Einfachheit halber nur einen Frei-Raum zu lassen, um dort völlig
> selbstbezogen weiterhin die eigene Position in/zur Welt zu erforschen,
> Grenzen zu verschieben und ihnen damit einen Hauch von Selbstfindung
> zuzugestehen?
> Muss alles kreative Schaffen immer gleich&sofort verdinglicht und nutzbar
> gemacht werden?
>
> Sicher, in der Diskussion um die Zuteilung von Fördergeldern macht das schon
> einen Sinn. Besonders, um sich und die Kunst (auch die eigenen) als
> gesellschaftlich sinnvoll und relevant zu vermitteln. Aber macht man sich
> damit nicht käuflich?
> (Ja schön, werden Einige sagen, schön wenn das so einfach wäre,..)
>
> Aber muss, um der kommunikativen Verwertbarkeit willen das Kunstschaffen
> dazu nicht extrem stromlinien förmig angelegt sein, quasi opportunistisch,
> damit es wahrgenommen und eingesetzt werden kann? Wird es dann nicht zur
> Fabrikproduktion, zur production on demand? Was hat das dann noch mit freier
> Kunst zu tun, ist dies etwa die verbleibende Freiheit der KUNST?
>
> Ich wiederhole: intellectual gentrification!
>
> Und damit meine ich genau das: einen Prozess der im Kopf der Intellektuellen
> und Künstler stattfindet.
> Bei denen, welche ihre wilden Ideen aufgegeben haben und diese liebend gerne
> so umstrukturieren und transformiert sehen möchten, damit diese gezähmt und
> eingezäunt, "endlich" kommerziell einsetzbar und wundervoll planbare
> Ressource werden. Schön, froh und hoffnungsvoll, endlich in der Mitte der
> Gesellschaft angekommen zu sein, Ernst genommen zu werden. endlich
> "verkaufen" zu dürfen!? Hurrah?
>
> 2. Was ist eigentlich aus dem Treff der Thing Gemeinde in ihren Räumen
> geworden?
>
> Gibt es dazu Ergebnisse und Absprachen die getroffen wurden ?Rein aus
> Interesse gefragt, für diejenigen welche dort nicht erscheinen konnten,..?
>
> LG.
>
>
>
>
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Received 02. 12. 2009 14:17 from
Re: Betrifft: Kulturgutscheine in weiteren Facetten
Liebe Sabine,
ich gestehe meine Unfähigkeit gerne ein, mir ein konkretes Szenario für
den Einsatz von Kulturgutscheinen an alle Bürger vorzustellen.
Insofern war mein "gartenzwergjägerzaun" etwas hilflos und Deine Kritik
berechtigt.
Allerdings finde ich auch die Einwände von Brentis bedenkenswert.
Kultur ist kein neutrales Feld, sondern von vielfältigen
(Macht)Interessen durchsetzt.
Die Vorstellung es könnten sich authentische Wünsche und Neigungen
durchsetzen, kommt mir wenig plausibel vor.
Ich meine, es bräuchte wenigstens Instanzen der Vermittlung.
Ganz persönlich, wäre ich zB für Forschung und Wissenschaft zuständig,
so würde ich dazu neigen Biologie, Medizin und Pharmazie wenig zu
fördern, weil sie mich einfach langweilen. Wider das bessere Wissen, daß
auch mein Leben von ihnen abhängt.
Ich müsste also in mir selbst eine Argumentationsinstanz zulassen, die
mir sagte, daß mein Geschmack weniger wichtig ist, als der vorerst
abstrakte Nutzen.
Und solcherlei Instanzen muß es auch auf gesellschaftlicher Ebene geben,
die sich vom blossen Bürgerwillen abgrenzen.
Ist das nachvollziehbar?
>
> ... und schon wieder (wobei sich "wieder" nicht nur auf die Liste bezieht):
>
> "der Bürger" versteht "Kunst" nicht; was er kann und mag ist Kitsch und Krempel - oder wie...? Sind nicht auch Künstler "Bürger"? Und gibt es nicht auch unter den Bürgern Kunstverständige, Kunstinteressierte, KÜNSTLER...?!
>
> Es gibt keine Trennung, jedenfalls nicht so eine schwarz-weiße mit solchen klaren Trenn-Linien. Und es gibt Gartenzwerge und Jägerzäune unter den "Bürgern", wie es auch Sekt und Selters, Kaviar und Erbsensuppe, arm und reicht, gebildet und ungebildet, schön und weniger schön, krank und gesund, dick und dünn u.v.a.m. gibt --- und jedes Merkmal für sich genommen noch lange nicht ausreichend Auskunft gibt über dessen Träger.
>
> Ich glaube, ich kann antworten, was das für eine Kultur gäbe: eine so vielfältige und authentische wie es Menschen im Land gibt.
>
> Ich fand Deine rhetorische Frage ziemlich ärgerlich...
>
> viele Grüße,
>
> Sabine
>
>
>
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